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Ein Testfall für die ganze Republik

Stark verschuldet, hoch subventioniert – doch die Zukunft des größten Nahverkehrsunternehmens Deutschlands, der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), scheint gesichert – wenn nicht die Bahn einen Strich durch die Rechnung macht  ■   Von Philipp Gessler

Wer möchte den Job schon haben? Rüdiger vorm Walde ist zwar Chef des größten deutschen Nahverkehrsunternehmens mit knapp 16.000 Angestellten und hält fast ein Monopol in der Hauptstadt. Aber eigentlich dürfte er keine Nacht ruhig schlafen. Denn sein Betrieb, die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), ist heillos verschuldet: Eine dreistellige Millionensumme prangt rot in den Bilanzbüchern. Jedes Jahr ist der Manager auf knapp eine Milliarde Mark aus dem Stadtsäckel angewiesen – und am Ende nicht einmal der Boß im eigenen Betrieb. Denn die BVG ist als Anstalt des öffentlichen Rechts de facto in Landesbesitz.

Berlin ist auch im Verkehr noch eine gespaltene Stadt

Ein weißer Elefant für das Land, das diesen teuren Besitz lieber heute als morgen loswerden würde, denn mit der BVG hat man nur Probleme: Die Beschäftigten sind als Beinahe-Angestellte des öffentlichen Dienstes zum größten Teil unkündbar. Die Personalkosten sind 40 Prozent höher als bei privaten Nahverkehrsunternehmen (ein Überbleibsel aus Mauerzeiten, als die BVG als eine Art Jobmaschine mißbraucht wurde, um die Arbeitslosigkeit in der Inselmetropole nicht zu hoch steigen zu lassen). Und drei Viertel der Kosten sind Fixkosten, die entstehen, ohne daß die Busse, Straßen- und U-Bahnen der Hauptstadt einen Kilometer gefahren wären. Selbst zehn Jahre nach dem Mauerfall ist Berlin zudem auch im Verkehr noch eine geteilte Stadt. Denn viele Straßenbahnen enden nach wie vor an der früheren Grenze. Die BVG verdoppelte in den letzten Jahren ihre Fahrpreise, verschlechterte das Angebot, verlor ein Viertel ihrer Fahrgäste.

Daß die Sache so nicht weitergehen konnte, war nicht nur Finanz- und Verkehrspolitikern seit langem klar, hinzu kam Zeitdruck: Die EU verlangt, daß ab dem Jahr 2000 der Verkehrsmarkt nach und nach liberalisiert wird. Das heißt: Monopole soll es nicht mehr geben, jede Buslinie muß öffentlich ausgeschrieben werden. Auch private Unternehmer müssen anbieten dürfen, daß sie die Fahrten übernehmen. Die Stadt hat bei der BVG über 230 Buslinien in Auftrag gegeben, aber für 83 läuft der Vertrag ab 1. Januar 2000 aus, der Rest folgt in den nächsten Jahren – dann soll der freie Markt herrschen.

Vor diesem aber hat die BVG Angst, denn wettbewerbsfähig, das wissen auch ihre Manager, ist das Nahverkehrsunternehmen noch lange nicht. Mit einem Coup zu Ostern vergangenen Jahres versuchten deshalb der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger und sein CDU-Kollege Klaus Landowsky, den gordischen Knoten zu durchtrennen. Sie wollten den Schuldenladen loswerden und sich „aus ihrer Verantwortung stehlen“, wirft ihnen der bündnisgrüne Verkehrsexperte Michael Cramer vor. „Klaus und Klaus“, wie sie genannt wurden, stellten ein Konzept vor, das die BVG wieder konkurrenzfähig machen und die öffentlichen Zuschüsse verringern sollte. Unter Leitung der Deutschen Bahn (DB) sollte die BVG mit der S-Bahn, einer Tochter der Bahn, zusammengeschlossen werden. Doch sofort gab es massiven Protest gegen dieses Holding-Konzept. Vor allem, weil das Sanierungskonzept vorsah, daß 7.000 Arbeitsplätze gestrichen werden sollten. Hinzu kam, daß die Bahn für zehn Jahre ebenfalls ein Fast-Monopol errungen, den Fuhrpark und die Infrastruktur übernommen hätte. Und das alles, ohne die Verantwortung für das Personal und die Pensionskosten zu übernehmen – diese Kosten sollte weiter das Land schultern: statt Geld aus der Privatisierung nur mehr Schulden.

Als die Proteste zu massiv wurden, installierte deshalb der Senat im vergangenen Herbst einen Runden Tisch mit allen Beteiligten. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) sicherte zu, es werde keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Aber der Runde Tisch machte kaum Fortschritte – auch wegen der Arroganz von Bahnchef Johannes Ludewig, der mit dem Satz zitiert wird: „Wir können auch Bus fahren.“ Um den Horrormodell der Bahn etwas entgegenzusetzen, stellte die BVG ein eigenes Sanierungskonzept vor – gar getragen von Vorstand, Personalrat und Gewerkschaften. Ein „hartes Konzept“, wie Cramer meint.

Das Personal sollte auf 12.000 Angestellte verringert werden, erklärt BVG-Sprecherin Barbara Mansfield, die Subventionen nur noch acht Jahre fließen und langsam auslaufen. Außerdem sollten Fahrerinnen und Fahrer in ein Tochterunternehmen überwechseln, wo sie weniger Geld bekommen sollen, doch dafür mehr arbeiten – versüßt durch einen goldenen Handschlag von mindestens 60.000 Mark: Also keine „BVGler“-Ansprüche mehr, aber dafür womöglich mehr Aussicht, den Job auch zu behalten.

Anfang Juni nun entschied das Abgeordnetenhaus einstimmig bei einer Enthaltung, im wesentlichen dem BVG-Modell eine Chance zu geben: Der Senat solle den Vertrag mit der BVG verlängern und bei der EU-Kommission eine zeitweise Befreiung vom Wettbewerb („Notifizierung“) erwirken. Dazu sollte aber die BVG nach ihrem Modell rekonstruiert und saniert werden – jährliche und öffentliche Erfolgskontrollen inklusive.

Alte Vorschläge kommen in neuem Gewand daher

Die Bahn reagierte pikiert und schlug nun die „partnerschaftliche Gründung“ einer Holding vor, wobei das Land die Mehrheit der Anteile halten sollte. Doch Kritiker der Bahn werteten dies als lediglich den alten Vorschlag im neuen Gewand. Vorstand, Personalrat und Gewerkschaften lehnten das neu/alte Modell stante pede ab. Das sei „alter Wein in neuen Schläuchen“, bemängelte die mächtige Berliner ÖTV-Chefin Susanne Stumpenhusen. Und: Diepgen müsse sich erklären, ob er nun den Vertrag mit der BVG wolle oder doch das DB-Modell.

Der Koalitionsausschuß, die entscheidende Kungelrunde der Großen Koalition, wollte sich gestern abend mit dem BVG-Thema beschäftigen. Am Mittwoch ist mal wieder, nach gut dreimonatiger Pause, ein Runder Tisch einberaumt – unklar ist, was da überhaupt noch besprochen werden soll. Der SPD-Verkehrsexperte der Stadt, Christian Gaebler, hält das Engagement der Bahn in der Hauptstadt für ein „Testfeld“. Hier wolle die DB ausprobieren, ob es ihr gelingt, als kommunaler Verkehrsanbieter an die öffentlichen Fleischtöpfe der großen Städte der Bundesrepublik zu kommen. Und Diepgen treibe womöglich ein besonderes Spiel. Er könnte den Teilnehmern am Runden Tisch weismachen, es brauche keine Notifizierung aus Brüssel. Der Grund: Dann könnte die Vertragslängerung der BVG mit der Stadt vor Gericht doch noch scheitern. Und die Bahn wäre wieder im Gleis.

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