: Ein System weingetränkter Zweckfreundschaften
■ In Österreich halten Pressesprecher Hof, eine Zeitung leistet diskrete Wahlhilfe
„Verhaberung“ ist der urwienerische Ausdruck für ein System wechselseitiger Gefälligkeiten und Abhängigkeiten und für weingetränkte Zweckfreundschaften. „Haberer“ bedeutet Kumpel. Das Zentrum der Kumpanei befand sich bis vor zwei Jahren in einer Wiener Innenstadtkneipe namens „Oswald & Kalb“. Dort drängten sich Abend für Abend Journalisten und Politiker und erzählten sich den neuesten Tratsch. An einem Tisch hielt Karl Krammer, der Pressesprecher des Bundeskanzlers, Hof. Bei ihm Platz nehmen zu dürfen hieß, endlich im Dunstkreis der Macht zu sitzen.
Krammer ist ein mächtiger Mann. Er entscheidet nicht nur darüber, wer Zugang zum Regierungschef erhält. Er ist auch der Statthalter Franz Vranitzkys in der staatlichen Fernsehanstalt ORF. Krammer sitzt im Kuratorium des Mediums. Einzigartig: Der Pressesprecher des Regierungschefs überwacht auch die Berichterstattung des nationalen Fernsehens.
Bis in die siebziger Jahre war die österreichische Medienlandschaft von einer willfährigen Parteipresse beherrscht. Interviews mit Politikern mußten meist schriftlich vorgelegt werden und wurden dann im Politbürostil beantwortet. Mit Bruno Kreisky brach 1970 eine neue Ära an. Der geschickt mit den Medien spielende Sozialdemokrat stellte sich jeden Dienstag nach dem Ministerrat den Reportern und plauderte drauflos.
1970 wurde auch, nach dem Vorbild des Spiegel, das Wochenmagazin profil gegründet. profil führte in Österreich den investigativen Journalismus ein, deckte etliche Skandale auf und brachte einige Minister, unter anderem den Finanzminister und Kanzler-Kronprinzen Hannes Androsch, zu Fall.
Doch die „Verhaberung“ überdauerte das alles und erreichte 1993 mit dem Erscheinen des Wochenmagazins News eine neue Dimension. Die Illustrierte erreicht hohe Auflagenzahlen, daher nehmen die Politiker viel auf sich, um darin zu erscheinen. Da wechselt Grünen-Obfrau Madeleine Petrovic vor den News-Fotografen von einem Chanel-Kleid ins andere, da schnallt sich ÖVP-Chef Schüssel seine fotogensten „Mascherln“ (deutsch: Fliegen) um, da entblößt Freiheitlichen-Führer Jörg Haider die Heldenbrust. Dafür zeigt sich News auch entgegenkommend: Für eine Story über Bundespräsident Klestil soll dessen Pressesprecher in den Redaktionsräumen die genehmsten Fotos ausgesucht und nebenbei noch einen prüfenden Blick auf den Text geworfen haben.
Die Kronenzeitung darf sich mit 2,5 Millionen Lesern rühmen, die Tageszeitung mit der höchsten Reichweite der Welt zu sein. Als das Boulevardblatt sich 1994 überraschend entschloß, die Pro-EU- Kampagne zu unterstützen – was ausschlaggebend für das massive Ja bei der Volksabstimmung war –, wurde sofort von einem Tauschgeschäft gemunkelt. Kanzler Vranitzky habe der „Krone“ eine private TV-Lizenz versprochen. Das blieb bis heute unbewiesen.
Die „Krone“ gewährt auch diskrete Wahlhilfe. Bei einer Wiener Gemeinderatswahl erschien am Tag davor die Fernsehbeilage mit dem Bild des sozialistischen Spitzenkandidaten Helmut Zilk auf dem Titelblatt. Nun rätselt man in Wien, warum die „Krone“ im beginnenden Wahlkampf von ihrem bisherigen Favoriten Jörg Haider abrückt und sehr lobend über ÖVP-Chef Schüssel schreibt. Allein die Drohung Haiders, wenn er an die Macht käme, „würde in die Redaktionsstuben wieder Ordnung einkehren“, wird die „Krone“ wohl nicht beindruckt haben. Helmut Weichsler, Wien
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