: Ein Stück Lebensrealität
Das ZDF-Jugendjournal „Doppelpunkt“ will auch im fünften Jahr Tabu-Themen anpacken ■ Von Joachim Weidemann
Barbara Stöckls resoluter Charme kennt keinesgleichen. Wienerlnd mit deutschem Zungenschlag, moderiert die 28jährige Import-Österreicherin äußerst souverän die ZDF-Sendung Doppelpunkt, sich abwechselnd mit dem Dortmunder Journalistikstudenten Michael Steinbrecher (25). Beide konnten mächtig in den letzten Jahren punkten, doppelpunkten eben. Die Gesprächsreihe — nicht nur für Jugendliche — brachte es binnen vier Jahren auf sechs Journalistenpreise. Die Einschaltquoten liegen bei elf Prozent am Mittwoch und sieben am Donnerstag. Ein Aushängeschild des ZDF also. Gestern läutete der Sender nunmehr das fünfte Jahr Doppelpunkt ein — mit einer Ausstellung im Mainzer Kulturzentrum (KUZ), von wo aus auch die Diskussionen übertragen werden.
1986 noch hatte niemand Doppelpunkt diese Resonanz zugetraut. Im Gegenteil: Kritiker argwöhnten, das kritische Jugendmagazin Direkt solle abgesägt und durch einen nebulösen Doppelpunkt ersetzt werden, um das Programm auszudünnen. Tatsächlich sah das Konzept — eine Woche Gesprächs-Doppelpunkt, die andere ein Live-Konzert — auch sehr nach Dudelfernsehen aus. Dann aber, so erzählt Doppelpunkt-Redakteur Steffen Bayer, habe man festgestellt, daß die Live-Musik bei Jugendlichen keineswegs mehr zieht als die Diskussionsrunden. Die Konzerte fielen flach; es wurde mehr diskutiert. Das war besser — und billiger. Versteht sich Doppelpunkt heute als reine „Talk-Show“? Bayer gefällt dieser Begriff gar nicht. Das ZDF lade doch gar keine Prominenz ein, die ihre Persönlichkeit vor sich hertrage, sondern Jugendliche „wie du und ich“.
Diese Jugendlichen jedoch zu finden, stellt die Mainzer immer wieder vor Probleme. Für eine der künftigen Sendungen etwa — Aids — was geht das Frauen an? — scheint es besonders schwierig, geeignete Diskussionspartnerinnen zu finden. Die Scheu ist groß. Dazu kommt, daß das ZDF hohe Ansprüche stellt. Jeder interessierte Teilnehmer wird in Gesprächen abgeklopft, zunächst am Telefon, dann vor Ort bei laufender Videokamera.
Die Typen müssen „sympathisch“ sein. Neonazis erhalten ebenso wenig das Wort wie RAF- Anhänger, die eine Grußadresse an alle RAF-Inhaftierten richten wollen. Sonst aber soll es keine Tabus geben. Drei der preisgekrönten Sendungen belegen das: Mein Sohn ist schwul erhielt 1988 den Adolf-Grimme-Preis in Bronze. Ich bin infiziert, ich brauche Dich bekam 1989 den Journalistenpreis der Deutschen Aids-Stiftung. Und 1990 ging der Civis-Preis an die Sendung Mein Land, dein Land — ist Deutschland nur für Deutsche da?
Homosexualität, Aids, Ausländer — Randgruppen liegen dem Doppelpunkt-Team besonders am Herzen. Zu diesen gesellschaftlichen Themen kommen politische, so Bayer, und „Bauchthemen“ vom Lieben und Leben. Eine „Message“ sollte es nicht geben. „Wir wollen nur“, so der ZDF-Redakteur, „daß mehr Leute miteinander reden, die das sonst vielleicht nicht tun würden.“ So gelang es immerhin, Hausbesetzer aus Berlin mit einem Polizisten ins Gespräch zu bringen. Gar zu provokativ indes wird's nie. Dafür sorgt schon der öffentlich-rechtliche Status.
Die Vorlaufzeit der Sendungen betragen „acht bis zehn Wochen“. Michael Steinbrecher lobt diese Arbeitsbedingungen: „Wir können ein Thema total gründlich recherchieren.“ ModeratorIn und RedakteurIn arbeiten eng zusammen. Beide schlagen Themen vor, fahren zur Recherche vor Ort. Zensur von oben habe es bislang nie gegeben, sagt Bayer.
Wohl aber gab's schon mal Ärger mit den Zuschauern. Einmal nannte eine Diskutant die Deutschland- Flagge einen „Lappen“. Daraufhin mußte er eilends belehrt werden, daß das hart an „Verunglimpfung von Staatssymbolen“ grenze und daß die Deutschland-Flagge eben die Deutschland-Flagge sei und kein „Lappen“. Ein andermal konnte es Peter Maffey nicht länger ertragen, vom Frankfurter Fronttheatraliker Dieter Thomas gefragt zu werden, was denn seine musikalische Betroffenheitslyrik bedeuten soll. Maffey stand auf und ging.
Solche Pannen jedoch sind rar. Probleme gibt's vielmehr mit der Zeit. Die ist zu kanpp. Von 19.30 bis 20.15 Uhr am Mittwoch abend — da läßt sich wenig wirklich klären, driftet ein Thema leicht ins Seichte ab. Der Sendetermin am Donnerstag von 22.10 bis 23.10 Uhr wäre zwar länger, erreicht aber weniger ZuschauerInnen. Kommt König Fußball daher, wird gar noch mal die ein oder andere Sendeminute abgezwackt. Das ist genauso unbefriedigend für das Team wie die Tatsache, daß das positive Echo engagierter ZuschauerInnen ausbleibt. Junge Leute schreiben kaum; ältere äußern mehr Kritik als Lob.
Auf die neuen Bundesländer hat sich Doppelpunkt bereits eingestellt, zumindest, was die Themen angeht. Just zur rechten Zeit sind die arbeitslosen Jugendlichen in der Ex-DDR dran, ihre Meinung kundzutun: „Dann kommen wir halt rüber.“ Ehemaliges DDR-Personal jedoch, etwa vom DFF, sucht man in der Doppelpunkt-Redaktion vergeblich. Und das, obwohl die Sendung im Osten hohe Einschaltquoten verzeichnet haben soll. Schon unter der SED sei Doppelpunkt in der DDR bekannt gewesen, sagt Bayer, „als ein Stück westdeutscher Lebensrealität“.
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