piwik no script img

■ VorlaufEin Stenogramm

„Sittenbild mit Seifenblasen. Armistead Maupins ,Stadtgeschichten aus San Francisco‘“, 20 Uhr, arte

Armistead Maupin hat mit seinen „Stadtgeschichten“ aus San Francisco (sechs Bände, Rowohlt), den Schlüsselroman der Individualisierung geschrieben: von Menschen, die dem Programm eines Lebens hinter von Mutti genähten Gardinen entkommen in die Wunderwelt anstrengender Abenteuer. Nun sehen wir Maupin, in der Stadt und am Strand: ein schwerer Mann, dessen bärige Glücklichkeit sein stärkstes Merkmal ist. Witzig ist er auch, was durch das deutsche Voice-over leider etwas untergeht.

Weil es so schön ist, erzählt er noch einmal die Geschichte von dem Brief, den er seinen Eltern schrieb und in dem er unwiderruflich klarstellte, daß er schwul ist. Es ist der Brief, den auch seine Figur Michael Tolliver an seine Eltern schreibt. Ansonsten – und darauf besteht Maupin – hat er seine Welt nicht nach Schwulen und Heteros sortiert. Der „klaustrophobische“ Einschluß (Maupin) der schwulen Community ist ihm bis heute fremd geblieben.

Das Besondere seines Standpunkts – daß er sich mit seiner weiblichen Aufsteigerin Mary Ann Singleton letztlich identifiziert – kriegt der halbstündige Film aber analytisch nicht zu packen. Mal wieder nähert man sich dem Leben in Castro mit stählerner Neugier; sich einer Stadtführung zu schwulen Landmarks anzuschließen ist schon die denkbar peinlichste Lösung. Wieder wird das Klischee aufgebaut vom selbstgerechten Amerika um Anita Bryant landeinwärts und der lustigen Libertinage in der alten Hippie-Stadt, die in Aids endet, weil die Regierung in Washington so böse war. Man fragt sich, warum Armistead Maupin der einzige Zeuge des Films ist in einer Stadt, in der es vor Lesern des Stoffs nur so wimmelt. Das ist, als würde man Thomas Mann unters Holstentor stellen und noch einmal die „Buddenbrooks“ erklären lassen.

Die gewisse Faulheit in der Recherche wird allerdings durch eine flüssige visuelle Montage von Straßenszenen und Interieurs kompensiert. Sie geben einen Blick auf Archetypen des Maupinschen Personals, und für Sekunden kommt die Literatur zum Leben. uez

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen