■ In Frankreich wird die „Methode Balladur“ schwieriger: Ein Schritt vor, zwei zurück
Monatelang galt die „Methode Balladur“ als neues Erfolgsrezept der französischen Politik. Der vor zehn Monaten mit großer Mehrheit gewählte Regierungschef Edouard Balladur legte einen Stil an den Tag, den die Franzosen von seinen konservativen Vorgängern nicht kannten. Er spricht mit allen, und bleibt dabei immer moderat im Ton – sowohl im Verhältnis zu dem sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand, das ihm die „Cohabitation“ aufzwingt, als auch gegenüber den Hardlinern im eigenen politischen Lager.
Monatelang stand Balladur einsam an der Spitze der Hitliste der beliebtesten Politiker. Freund und Feind sahen in ihm bereits den nächsten Präsidenten Frankreichs. Nach einem Jahrzehnt nur kurz unterbrochener sozialistischer Regierung machte Balladur einen grundsoliden Eindruck: Er würde mit der Vetternwirtschaft aufräumen, die Krise überwinden und Frankreich wieder den verdienten Platz in Europa und der Welt verschaffen. Balladur selbst hielt sich diskret zurück – und bestärkte damit nur die öffentliche Meinung über seine Qualitäten. Er will erst im nächsten Jahr über seine präsidialen Absichten reden und „Versprechungen“ zu einer Überwindung der Krise macht er schon gar nicht.
Einen ersten Knacks erlitt Balladurs Popularität Ende letzten Jahres bei der Affaire „Air France“. Die Regierung wollte das marode Flugunternehmen sanieren und 4.000 Arbeitsplätze streichen. Prompt kam es zu tagelangen militanten Streikaktionen. Der nächste Lapsus folgte Anfang dieses Jahres, als die Regierung versuchte, ein Förderprogramm für die Privatschulen durchzusetzen. Hunderttausende Franzosen gingen gegen diesen in ihren Augen „Angriff auf die laizistische Schule“ auf die Straße. In dieser Woche nun provozierte Balladur mit dem Vorschlag eines Mini-Mindestlohns für alle unter 25jährigen – damit wollte er die immense Jugendarbeitslosigkeit angehen – gemeinsame Proteste von StudentInnen und Gewerkschaftsproteste.
Balladur reagierte jedesmal mit einem Rückzug. Die „Air-France-Mitarbeiter“ sind geblieben, die Privatschulförderung wurde gestrichen und der Mini- Mindestlohn ist auch schon wieder von der Bildfläche verschwunden. Die Angst vor einer Protestbewegung wird zum bestimmenden Moment seiner Politik. Dorothea Hahn, Paris
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