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Ein Rentner als Bundespräsident?

■ Wenn im Mai 1999 der Nachfolger von Roman Herzog gewählt wird, hat Johannes Rau bereits ein Jahr auf dem Altenteil hinter sich

Berlin (taz) – Walter Scheel war Außenminister, als er zum Bundespräsident gewählt wurde, Karl Carstens war Präsident des Bundestages, Richard von Weizsäcker Regierender Bürgermeister von Berlin – ins oberste Staatsamt wurden in Deutschland meist Politiker gewählt, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere standen. Bisher paßte Johannes Rau gut in diese Galerie: seit 19 Jahren NRW-Regierungschef, der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands.

Wenn Rau, wie angekündigt, im kommenden Juni zurücktritt, wird sich die Lage ändern: Bei der Wahl von Roman Herzogs Nachfolger im Mai 1999 hat Rau schon fast ein Jahr auf dem Altenteil hinter sich – und die SPD muß sich entscheiden, ob sie einen Rentner zum Bundespräsidenten machen will.

„Ich halte es für ein Gebot politischer Selbstverständlichkeit, daß die SPD Johannes Rau nominiert“, sagte gestern das SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer. Scheer durchbrach damit das eiserne Schweigen zur Kandidatenfrage, das sich seine Partei mit Rücksicht auf Rau eigentlich auferlegt hat. Bei der Ankündigung seines Rücktritts hatte Rau erklärt, es habe ihn immer wieder geärgert, wenn die Dauer seiner Amtszeit in Düsseldorf verbunden worden sei „mit Spekulationen darüber, ob ich denn wohl Bundespräsident würde im Jahr 1999 oder nicht“. Fragen nach seiner Kandidatur wehrte er präventiv ab: „Mich hat danach niemand gefragt, ich habe danach niemanden gefragt.“ Die Debatte sei unpassend: „Man bewirbt sich nicht um dieses Amt.“

Vor Raus überraschendem Auftritt am späten Montagabend in Bonn hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete Lilo Blunck für die Nachfolge von Roman Herzog eine Frau gefordert. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) wollte sich gestern der Forderung nach einer Frau nicht anschließen. Zum jetzigen Zeitpunkt, sagte eine Sprecherin zur taz, stelle sich die Frage nicht. In der Vergangenheit war wiederholt die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, als mögliche SPD-Kandidatin genannt worden. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD), hatte sich am Wochenende für einen Präsidenten aus Ostdeutschland ausgesprochen.

Weder bestätigt noch dementiert wurden von der SPD-Spitze zwei Zeitungsberichte, denen zufolge Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine Rau vor seinem Rückzug aus der Landespolitik zugesichert hatten, ihn als Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen. Der 67jährige war 1994 dem Bewerber der Union, Roman Herzog, unterlegen. Herzog hat zuletzt in einem Focus-Interview vor vierzehn Tagen wiederholt, er stehe für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung. Trotzdem gab es in der CDU immer wieder Stimmen, die ihn zur erneuten Kandidatur aufforderten. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Christoph Bergner sagte gestern zur taz, wenn Roman Herzog eine zweite Amtszeit wolle, könne er sie „gerne“ bekommen. „Ansonsten ist es müßig, jetzt über Kandidaten nachzudenken, egal ob aus Nord, aus Süd, aus West, aus Ost.“ Patrik Schwarz

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