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Ein Putsch als Geburtshelfer der Demokratie

■ Drei Szenarien über eine künftige Regierung im Irak nach einem Sturz Saddam Husseins GASTKOMMENTAR

Es ist schwierig herauszufinden, was im Moment im Irak wirklich passiert. Am Wochenende häuften sich Berichte über Proteste gegen Saddam in Basra und verschiedenen anderen Städten. Sie gipfelten schließlich in der Behauptung, daß Basra von regimefeindlichen Truppen eingenommen worden sei. Um dem Militärdienst zu entgehen oder ihr Leben und das ihrer Familien zu retten, flohen Hunderttausende Iraker in die Sümpfe, in die kurdischen Berge sowie in den Iran und die Türkei. Es ist unwahrscheinlich, daß der Iran und die Türkei die Absicht haben, Teile des Iraks zu annektieren. Alle Nachbarn Iraks (und andere mächtige Staaten in der Region, inklusive Ägypten) beanspruchen ein Mitspracherecht über die Zukunft des Landes zu haben. Die irakische Opposition im Exil, die in den letzten zehn Jahren entweder nicht beachtet oder an den Rand gedrängt wurde, findet sich jetzt von Scharen der merkwürdigsten Freier umworben. Falls Saddam gestürzt wird, bieten sich mindestens drei Szenarios an. Das schlimmste wäre eine von Saudi-Arabien ausgewählte, unterstützte und finanzierte Regierung, von Riad eingesetzt, die aus früheren Mitgliedern oder Mitarbeitern der vorherigen Regierung bestünde. Da die Saudis deutlich Hand in Hand mit den USA arbeiten, würde es sofort als plumper Versuch gewertet werden, dem Irak die Pax Americana aufzuerlegen, was wenig Unterstützung im Land hätte. Einer der häufig genannten Namen in diesem Zusammenhang ist der des Abrahim al-Dawud. Er ist ein farbloses, aber hinreichend religös erscheinendes Individuum. Im Juli 1968 war er zwei Wochen Verteidigungsminister, bevor er gezwungen wurde, das Land zu verlassen. Die zweite Möglichkeit ist, daß es zu einem erfolgreichen Putsch kommt, der einem älteren General die Macht bringt. Obwohl er zwangsläufig Mitglied der Baath-Partei wäre, gibt es an sich keinen Grund, warum seine Regierung genauso repressiv und grausam wie die Saddams sein sollte. Es ist jedoch schwer zu sagen, ob so eine Einzelperson die Unterstützung der breiten Bevölkerung hervorrufen kann, wenn sie sich nicht verpflichtet, auf die Bildung einer Regierung der nationalen Versöhnung hinzuarbeiten — und das wäre die dritte Möglichkeit. So eine Regierung sollte Repräsentanten aller wichtigen irakischen politischen Parteien und Interessengruppen einschließen. Viele von ihnen sind in der „Patriotischen Allianz“ vertreten, die in den letzten Wochen in London und Damaskus zusammengetreten ist. Obwohl es optimistisch scheinen mag, kann sich durch die aktuelle Krise, in der die Iraker durch eine repressive, grausame und unvernünftige Diktatur bis an die Grenzen ihrer Geduld getrieben wurden, die beste und einzige Möglichkeit für die Wiederherstellung oder besser die Einführung einer sehr eingeschränkten Form von Demokratie ergeben. Angesichts des vollständigen Fehlens demokratischer Einrichtungen und der Tatsache, daß ein großer Teil der Bevölkerung nur Erfahrungen mit Diktatur und Angst hat, mögen schon solche minimalen Forderungen optimistisch erscheinen. Der einzige Weg nach vorn — und das weiß auch die irakische Opposition im Exil — ist der Aufbau einer rechenschaftspflichtigen Regierung. Wenn die künftige Staatsmacht bloß eine Widerspiegelung der Regierungen sein sollte, die jetzt in den Nachbarstaaten an der Macht sind, wird das langfristig zu weiterem Chaos führen. Sie wäre nicht in der Lage, Stabilität und Wachstum im Irak zu sichern. In diesem Zusammenhang muß nicht nur die Zukunft des Iraks, sondern auch die der Menschen in der Region dringend mit einbezogen werden. Marion Farouk Sluglett und Peter Sluglett

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