: Ein Präzisionsarbeiter des Verbrechens
■ Vor dem Bremer Landgericht begann Prozeß gegen den Entführer von Denis Mook / 23jähriger Angeklagter legte umfassendes Geständnis ab / Tat war bis in kleinste Details vorbereitet / Verteidigung sucht Ursachen im Elternhaus des Angeklagten
Mit einem umfangreichen Geständnis des 23jährigen Marcus N. begann gestern der Prozeß gegen den Entführer des achtjährigen Denis Mook aus Bremen. Sachlich, nüchtern und mit mathematischer Gründlichkeit schilderte N. der II. Großen Strafkammer des Landgerichts fast zwei Stunden lang bereitwillig, wie er Denis Mook am 22. September auf dem Weg zur Schule mit vorgehaltener Gaspistole in seinen Opel Ascona gezerrt und anschließend 14 Tage in einem Ferienhaus in der Eifel gefangen gehalten hatte. Ganze Tage mußte der entführte Junge dort gefesselt und geknebelt in einer verschlossenen, ein Meter langen und 40 Zentimeter breiten Holzkiste verbringen, während N. mit einem Leihwagen quer durch Deutschland fuhr, um die Übergabe des geforderten Lösegelds von einer Million Mark vorzubereiten.
Mit welcher kriminellen Präzisonsarbeit N. die Entführung
geplant hatte, zeigt allein die Methode, mit der er Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier und Denis‘ 29jähriger Mutter seine Forderungen mitteilte. Beide fanden erst vier Tage nach der Entführung – inzwischen waren in Bremen Polizei und Tauchmannschaften ergebnislos auf die Suche nach dem vermißten Jungen gegangen – einen Brief in der Post, in dem N. die Ermordung des Jungen ankündigte, falls seine Forderungen nicht bedingungslos erfüllt würden. Mit beiden Briefen fuhr N. am 23.9 – Denis hatte er derweil wieder in der Kiste eingesperrt, nachdem er ihm zuvor mehrere Schlaftabletten gegeben hatte – von der Eifel bis nach Bremen, um sie hier in den Postkasten zu stecken. Die Polizei sollte so in der Vermutung bestärkt werden, es mit einem Bremer Entführer zu tun zu haben. Auf die Idee, ein Bremer Kind zu entführen, war der im Sauerland geborene und in Soest lebende N. überhaupt erst
durch Zeitungsberichte über das Bremer Geiseldrama gekommen. „Ich ging davon aus, daß die Bremer Polizei nach diesen Pannen kein weiteres Risiko mehr eingehen würde, um ihren Ruf nicht ganz zu ruinieren“, erklärte N. gestern dem Gericht das nüchterne Kalkül, die schon seit langem geplante Entführung nach Bremen zu verlegen.
Aufmerksam, aber anscheinend ungerührt hört der hagere Angeklagte mit dem blassen Gesicht und dem dünnen Vollbart auch gestern zu, als Richter Kurt Kratsch noch einmal verliest, was N. seinerzeit an den Bremer Bürgermeister geschrieben hatte: „Wenn Sie meine Forderungen nicht erfüllen, wird Denis getötet. Noch am selben Tag wird dann irgendwo in Deutschland ein zweites Kind zu entführt. Dessen Freilassung kostet dann dann allerdings 1,5 Millionen, weil es schließlich keinen Spaß macht, kleine Kinder zu töten.“ Als die Mutter des entführten Jungen als Zeugin vernommen wird, muß einer der Verteidiger seinem Mandanten einen Wink geben. Dann bittet N. um die Gelegenheit
für eine persönliche Erklärung: Heute tut ihm leid, was er getan und damit Denis und seiner Mutter angetan hat. Sagt er.
Mit der gleichen akribischen Sorgfalt, mit der N. gestern seine Aussagen zur Sache machte und mit der gleichen disziplnierten Ungerührtheit, mit der er Fragen nach den psychischen Hintergründen, nach den Beziehungen zu seinen Eltern mit demonstrativ kurzangebundener Einsilbigkeit überging, hat er offensichtlich auch die Entführung vorbereitet: Eher mit intellektueller Lust und filigraner Detailbesessenheit als mit rüde gewaltätiger Hemdsärmligkeit: Die Brutalität in N.s Vorgehen – dieser Eindruck drängte sich gestern auf – ist nicht das Ergebnis eines latenten Sadismus, einer unumwunden Rücksichtlosigkeit, sondern mittelbares Resultat eines exakt kalkulierten Risikos. Jede Maßnahme, die die Gefahr, entdeckt zu werden, verringerte, war N. offensichtlich recht – ohne Rücksicht auf ihren moralischen Preis. Warum er eine so kleine Kiste als Gefängnis des Jungen habe anfertigen lassen, will Rich
ter Kratsch gestern z.B. wissen. Die Antwort des Angeklagten zeigt die entwaffnende Logik eines kühl kalkulierenden und erfolgsorientierten Ingenieurs des Verbrechens: „Weil ich mich nach den Maßen meines Kofferraums richten mußte. Hätte ich einen Kombi gehabt, hätte ich eine größere Kiste in Auftrag gegeben.“
So, wie N. im letzten September alle Unwägbarkeiten der geplanten Entführung auszuschalten versuchte, sein Opfer ebenso wie Polizei und Modalitäten der Geldübergabe mit ungeheurem und ungeheuer brutalem Aufwand unter Kontrolle zu bringen versuchte, so versuchte der Angeklagte gestern sich selbst unter Kontrolle zu behalten. Seinen Verteidigern tat er damit sichtlich keinen Gefallen. Sie haben offensichtlich nur eine einzige Erklärung für N.s Tat: Eine gestörte Beziehung zu seinem Elternhaus, insbesondere dem streng katholischen Vater, Religionslehrer in N.s Heimatstädtchen. Mit – im Vergleich zu N.s sachlicher Auskunftsfreudigkeit – geradezu frappanter Einsilbigkeit reagierte der Angeklagte gestern auf alle Versuche, ein tief sitzendes Kindheits-Trauma in ihn hineinzufragen, und zwang seine Verteidiger damit ein ums andere mal zu dramatisierenden Paraphrasen seiner eher lapidaren Antworten. „Wie äußerte sich den die Religiosität Ihres Vaters“, will die Verteidigung wissen und hofft offensichtlich auf die ausführliche Schilderung der dumpf -bedrückenden Schwüle eines kleinbürgerlich engen Elternhauses, das den Jungen mit seinem pietistischen Leistungsethos ständig überforderte und seine Lust auf Freiheit mit überbehütender Strenge erstickte. Sie hofft vergebens. „Ja, das ging auch schon ins Alltägliche“, ist alles, was Marcus N. sich über den „tiefen Bruch mit seinem Vater“ (so die Verteidigung) entlocken läßt. Die Kontrollust, die der Angeklagte im September auf verhängnisvolle Weise gegenüber Dritten auslebte, schlug ihm gestern vor Gericht zur Selbstkontrolle aus. Seine Strafe wird dadurch kaum milder ausfallen. Vermutlich am Freitag wird das Gericht sie festsetzen.
K.S.
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