: Ein Polizeidirektor als privater Arbeitgeber
■ Heidelbergs suspendierter Polizeidirektor Kohler vor dem Kadi / Staatsanwaltschaft fordert 20 Monate Freiheitsstrafe für den Polizeidirektor mit dem „absolutistischen Weltbild“ / Mit dem Dienstwagen Nägel ins Privatheim chauffiert
Aus Heidelberg Felix Kurz
Staatsanwalt Herbert Heister listet eine Zahlenkolonne nach der anderen auf. Es ist schon ein mühseliges Geschäft, dem derzeit suspendierten Leitenden Polizeidirektor Werner Kohler aufzurechnen, welchen Schaden er denn nun dem Land Baden–Württemberg verursacht hat. Vor der Großen Strafkammer des Heidelberger Landgerichts drückt seit Monaten ein leibhaftiger Polizeidirektor die Anklagebank. Insgesamt 168.291 DM addiert Herbert Heister zusammen. Diesen Schadensbetrag soll der 57jährige Top–Polizist dem Lande zugefügt haben, indem er permanent in den Jahren 1977 bis zu seiner Suspendierung im Juli 1985 Polizeibeamte für seine privaten Zwecke eingesetzt hatte. Fast das komplette Haus mit Garten errichteten Kohlers Untergebene. Kohlers Fahrer, der Beamte Fruggel, stand nahezu Tag und Nacht in den Diensten der Familie des Polizeidirektors, kutschierte Frau und Kinder im Dienstwagen zu Klassentreffen, Arzt oder Frisör und auch sonst überall hin. Dadurch fällige Überstunden machte sein Chef für ihn auch noch beim Land geltend, und das Fahrtenbuch fälschte der „kleine“ Beamte eben auf Anweisung des „Großen“. Werner Kohler verhielt sich „wie ein privater Arbeitgeber, dem eine Firma mit 1.200 Angestellten und Geräten gehört“, meinte Herbert Heister denn auch. Seine Kollegin, Hannelore Hemmerich, kam in ihrem Plädoyer zu der Überzeugung, daß „nicht ein Tag verging, an dem Kohler nicht mindestens einen Polizisten für sich privat eingesetzt habe. Meistens waren es mehrere“. Und dafür hatte sie auch eine Erklärung. Das „absolutistische Weltbild“ des Angeklagten, dessen Maxime es war, „die Polizeidirektion bin ich“. Denn nur so könne man verstehen, was es heißt, wenn Kohler sage, „alles was ich anordne, ist Dienst“. Zum Beispiel auch, wenn ihm ein Untergebener die elektrische Zahnbürste zu Hause reparieren sollte. Oder aber, wenn mal schnell ein paar Nägel im Dienstwagen ins Kohlersche Heim im Heidelberger Vorort Eppelheim gebracht wurden. Darin mache sich aber auch fest, so Hannelore Hemmerich, daß sich der Polizeidirektor im privaten Bereich Vorteile verschaffen wollte. „Ein gewisser Geiz und eine übertriebene Sparsamkeit, um die eigenen Unkosten zu sparen“, gehöre wohl auch zum Naturell des Angeklagten. Während für die Familie im Dienstwagen keine Fahrt zu weit war, ermahnte Kohler seine Beamten sogar immer wieder, Sprit und Telefonkosten zu sparen. Auch die sogenannte Mehrarbeit, gemeinhin als Überstunden bekannt, sollten seine 1.200 Mann in Heidelberg so weit wie möglich aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus vermeiden. Nur in seinem ganz persönlichen Bereich galt das offenbar nicht. Hannelore Hemmerich, sonst Jugendstaatsanwältin, suchte vor allem in der Einlassung des „Chefs“ die Motive für dessen Verhalten. Kohler hatte nämlich immer wieder betont, er habe sich derart für Staat und Gemeinwesen eingesetzt, daß ihm die Beamten als Privatfahrer, Privatgärtner, Privatinstallateure usw. auch zugestanden hätten, quasi eine besondere Form der Lohnveredelung, als zusätzliche Leistungen des Staates für die schlechte Bezahlung. Staatsanwalt Herbert Heister zu genau diesen „Pflichten“: „Wenn jemand wie Kohler bei jedem Herrenpilsabend und jedem Dorffest dabei ist, dann werden die Repräsentationsaufgaben eines Polizeidirektors überstrapaziert.“ Wenn solche Sitten einreißen würden und jeder Behördenchef seine Beamten zur Schwarzarbeit auf den eigenen Bau schicken würde, „dann wären wir in einer Bananenrepublik“. So sieht es die Staatsanwältin, und der Begriff „Bananenrepublik“ erwirkt bei den Prozeßbeteiligten nach dem Zahlensalat von Herbert Heister wieder mehr Aufmerksamkeit. Warum der Mann nun jahrelang die Untergebenen zu „vielfältigen Aufgaben im Privatbereich“ einsetzen konnte, beantwortet die Anklagevertreterin ohne viel Drumherumgerede. Nach innen habe Kohler die „Dienstmoral durch eine Atmosphäre der Einschüchterung untergraben“. Staatsanwalt Heister kommt sogar zu dem Ergebnis, daß es „bei den Polizeibeamten mit der Zivilcourage nicht weit her“ sei. Wie bei anderen Beamten wohl auch, fügt er hinzu. Von Seiten der Landespolizeidirektion habe man die „Dienstaufsicht sehr nachlässig gehandhabt“, so die Staatsanwältin. „Dem Angeklagten wurde die Tatausführung sehr leicht gemacht.“ Dennoch kein Grund für sie, gerade einen Polizeidirektor mit Samthandschuhen anzufassen. 20 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung für fortgesetzte Untreue in Tateinheit mit Betrug ist das beantragte Strafmaß. Für die fortgesetzte Steuerhinterziehung soll Kohler zusätzlich eine Geldstrafe von 2.000 DM berappen.
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