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Ein Plattenbau für den Staatsanwalt

■ Ex-DDR-Generalstaatsanwalt Wendland zog vom Nobelviertel am Französischen Dom in die spröde Welt der Plattenbauten

Berlin (Ost). Seit dem 9. November sind in der DDR eine Menge Leute die Treppe raufgefallen - einige fielen sie aber auch runter. Zur letztgenannten Gruppe gehört der ehemalige Generalstaatsanwalt der DDR, Günter Wendland. Der oberste Ankläger des stalinistischen Regimes strich gestern in seiner komfortablen 6-Zimmer-Wohnung am Französischen Dom die Segel. Die beiden wuchtigen Möbelwagen transportierten sein Hab und Gut anschließend in die öde Jacobystraße, Nähe Karl-Marx-Allee. In einem klassischen Plattenbau muß Wendland nun im zweiten Stock sein Leben fristen.

Wendland, der im Oktober die prügelnde Volkspolizei in Schutz nahm und wenig später Prozesse wegen Korruption und Amtsmißbrauch verzögerte, trat am 5. Dezember von seinem Amt zurück. Zwei Tage zuvor war Egon Krenz gestürzt, das ZK der Partei zurückgetreten und das Politbüro entmachtet worden. Von soviel Trubel irritiert, meldete sich Wendland erst mal krank. Wenig später fand er einen neuen Job: bei der Stadtverwaltung, wie ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft der taz berichtet. Auf seinen Spitzenlohn (3.000 Mark inklusive Aufwandsentschädigung) muß er seit der Wende verzichten. Wendland ackert nun für rund 800 Mark im Monat. Es scheint, daß er die bisherige Miete - satte 600 Mark nicht mehr bezahlen kann. In der Jacobystraße löhnt er kaum mehr als 100 Mark im Monat.

Die Möbelschlepper trugen gestern schwer an der auf Nußbaum getrimmten Sperrholz-Wohnzimmer-Garnitur. Auch von den vergilbten Klubsesseln, Baujahr 50er Jahre, hat sich der Ex -Ankläger noch nicht getrennt. Das frühere SED-Mitglied scheint Dschungelatmosphäre dagegen zu lieben: Die Mitarbeiter des VEB Auto-Trans schleppten Dutzende von Grünpflanzen aus der in den achtziger Jahren gebauten Prunkhütte. Wendland ist nicht der einzige Prominente, der in der Otto-Nuschke-Str. 56, gleich an der Ecke am Platz der Akademie, lebt(e). Der DDR-Starregisseur Thomas Langhoff schätzt die urbane Atmosphäre ebenso wie die bekannte Sängerin der DDR-Rockgruppe Silly, Tamara Danz.

Wendland hat nun keine Weltniveau-Cafes mehr vor der Haustür, sondern Plattenbau-Etablissements wie den „Madeleine Modesalon“ oder das „Hotel Berolina“. Wenn ihm das alles nicht gefällt, kann sich der Jurist vielleicht mit dem „Kino-International“ anfreunden. Auf die Plakatwerbung des Lichtspielhauses hat der sogenannte Rechtsgelehrte von seinem Balkon aus einen guten Blick. Titel des derzeit laufenden Films: ausgerechnet „Motivsuche“.

CC Malzahn

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