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Archiv-Artikel

kucken sie mal: auf bremens leinwänden Ein Musikfilm aus Kuba, mal ohne Sozialromantik: „Paraiso“ von Alina Teodorescu

Jawohl, noch ein Film aus Kuba! Und wieder über Musiker, und wieder mit diesen verführerischen Rhythmen, und sogar der schöne alten Straßenkreuzer fehlt nicht. Nur diesmal wird genau hingeschaut, und da bleibt dann nicht viel von der Romantik des „Buena Vista Social Club“. Gleich die erste Einstellung liefert die zentrale Metapher für das Lebensgefühl der jungen Kubaner, die im Osten der Insel leben – fernab von Havanna, in einem kleinen Kaff, das sich zufällig den Namen „Guantanamo“ mit einem anderen, berüchtigten Ort auf der Insel teilt.

Aus Strandgut machen sie Musik. Auf vom Meer angespülten Holzstücken wird getrommelt, auf ausgebleichten Plastikflaschen und langsam steigern sich die Musiker in eine kraftvolle Improvisation hinein. „Madera Limpa“, also „Wahres Holz“ haben sie ihre Gruppe genannt, und einer ihrer Songs handelt denn auch von der täglichen Suche nach Holz für den Kochherd. Nach Havanna geht man nur, um sich zu prostituieren, als ein Hund hätte man ein besseres Leben und „die Langeweile, die Langeweile, die Langweile ist tödlich!“

Davon singt der 20-jährige Yasel in einer aggressiv und modern klingenden Mischung aus dem traditionellen Changúi, Rap, Reggae und HipHop. Seine Texte entstehen aus Alltagssituationen, manche improvisiert er auch direkt auf der Bühne wie etwa den Spottgesang über die beiden Tänzerinnen der Band mit dem vielsagenden Titel „Die Dicke und die Dünne“. Das ist keine Musik, zu der man sich bequem in paradiesische Tropenphantasien hineinträumen kann, man spürt den Zorn, mit dem die Musiker auf den alles umfassenden Mangel um sie herum reagieren.

„Mein größtes Problem? Zu leben. Während ich lebe, merke ich, was mir fehlt. Ich kann davon träumen und es suchen. Und was mir fehlt, ist alles“ erzählt Yasel mit trotzig- wehmütigem Blick in die Kamera. Der Film ist nie offen politisch: Castro wird nicht erwähnt, und nur einmal sieht man ganz kurz ein Poster von Che an einer Wand hängen. Aber indem die Filmemacherin Alina Teodorescu mit einem genauen Blick fürs Detail die Armut dieser jungen Kubaner schildert, wirkt die Kritik nur umso radikaler.

Dies ist der heute in München arbeitenden Rumänin wohl auch darum so eindrucksvoll gelungen, weil sie ihre Jugend unter Ceausescus Regime verbrachte: „Es waren ähnlich repressive Lebensumstände, unter denen aber Widerstand, menschliche Wärme und eine überbordende Lebenswut köcheln“ sagt sie in einem Interview.

Wie unsere Klischees von Kuba hier unterminiert werden, zeigt sich am besten in den Episoden mit Raffael, der mit seinem gelben Chevrolet aus dem Baujahr 1957 ein Auto besitzt, nachdem sich Sammler bei uns die Finger lecken würden. Er aber kann die zerbrochene Windschutzscheibe nicht ersetzten, bleibt bei jeder noch so geringen Steigung hängen und muss vor einer längeren Fahrt zehn Freunde anbetteln, bis er genügend Benzin organisiert hat.

„Paraiso“ ist zwar eindeutig ein Dokumentarfilm, aber viele Szenen sind offensichtlich inszeniert. Einige der Songs von „Madrea Limpia“ sind in schwarzweiß wie Musikclips gedreht und geschnitten und in anderen Sequenzen spielen die Protagonisten Situationen aus ihrem Leben nach. Vieles überhöhen sie dabei auch poetisch, wie etwa jene Szene, in der sich Yasel mit einem anderen Musiker über ein Tal hinweg unterhält und sie sich dabei ihre neuesten Lieder eher zuschreien als vorsingen.

So hält Teodorescu eine subtile Balance zwischen den Bildern der tristen sozialen Wirklichkeit und jenen vom phantasievollen Widerstand der jungen Kubaner; 2004 wurden sie und ihr Kameramann Sorin Dragio dafür mit dem deutsche Kamerapreis ausgezeichnet. Wilfried Hippen

„Paraiso“ läuft heute und Di um 20.00 sowie Fr & So um 22 Uhr im Kino 46 in der Originalversion mit Untertiteln