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■ Der Sieger der Berliner Wahlen wird Eberhard Diepgen heißen. Länger als Willy Brandt ist er nun in seinem Amt. Gibt es ein Geheimnis seines Erfolgs?Ein Mann ohne Eigenschaften

Der Sieger der Berliner Wahlen wird Eberhard Diepgen heißen. Länger als Willy Brandt ist er nun in seinem Amt. Gibt es ein Geheimnis seines Erfolgs?

Ein Mann ohne Eigenschaften

Eberhard Diepgen hat es geschafft. Zwei Tage vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus scheint bereits entschieden, daß er erneut Regierender Bürgermeister wird. Knapp die Hälfte aller BerlinerInnen wolle den 53jährigen als Regierenden wiedersehen, seine sozialdemokratische Herausforderin, Ingrid Stahmer, finde dagegen nicht einmal mehr die Unterstützung von einem Drittel der WählerInnen, schätzten Demoskopen Anfang der Woche. Schon heute amtiert er mit insgesamt zehn Jahren länger als alle seiner Vorgänger – ob nun Ernst Reuter, Willy Brandt oder Richard von Weizsäcker. Diepgens Erfolg jedoch kam nicht zufällig.

Wenn der Regierende heute gern erzählt, er wollte Förster werden, mag das dem Wahlkampf geschuldet sein – mit der Wahrheit hat es nichts zu tun. Denn Diepgen kannte von jeher nur ein Ziel: Macht. Der Ehrgeizige hat sich den Freuden des Lebens dermaßen konsequent versagt, daß seine Frau – wohl gutgemeint – in einer Wahlkampfbroschüre stöhnt: „Es war wirklich schwierig mit Flirten, er war immer beschäftigt, mit seinem Jurastudium oder mit der Politik.“ Er habe nicht einmal Zeit fürs Kino gehabt. Der „blasse Eberhard“ wußte immer, was er werden wollte: Berufspolitiker.

1962 trat Diepgen als 20jähriger in die Berliner CDU ein. Nur ein Jahr später war er bereits Asta- Vorsitzender an der Freien Universität – und erlebte seine erste Niederlage. Man wählte ihn nach 17 Tagen ab, da seine Mitgliedschaft bei der schlagenden Verbindung Saravia bekannt wurde, zu der auch der heutige CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky gehörte.

Mit Landowsky gründete Diepgen später eine Anwaltskanzlei. Der Duzfreund sagt heute über sich und Eberhard: „Im Duett lag unser Erfolg, im Studium, in der Anwaltspraxis, in der Politik.“ Schon früh wollten die beiden aus der CDU eine „moderne Großstadtpartei“ kreieren, bis heute haben beide eine klare Rollenaufteilung. Während Landowsky populistische Reden hält und im Westteil der Stadt einen „antikommunistischen“ Wahlkampf führt, versucht sich Diepgen in der Rolle eines Gesamtberliner Landesvaters.

Nicht erst in diesem Wahlkampf bekam Diepgen zu hören, daß er ein „blasser“ Politiker sei. Doch wußte er diesen scheinbaren Nachteil offenbar früh zu seinen Gunsten auszunutzen. Der ehemalige SPD-Senator Riebschläger kann sich noch gut an die gemeinsamen Uni-Tage erinnern: „Die Undefinierbarkeit von Diepgens Eigenschaften war sein hervorstechendstes Charakteristikum.“ Schon damals habe der Jurastudent bei älteren CDUlern als „Allzweckkandidat“ gegolten.

Wenn heute jeder zweite Hauptstädter dafür ist, daß Diepgen Regierenden Bürgermeister bleibt, dann nicht, weil der Kandidat etwas verändern will, sondern weil er nichts verändern will. In der 3,5-Millionen-Metropole werden ganze Stadtviertel umgebaut, der Tiergarten für ein Wirrwarr von Tunneln aufgebaggert und das Regierungsviertel hochgezogen. Der Mehrheit der BürgerInnen scheint diese Art der Veränderung ausreichend zu sein. Da ist ein Regierender recht, der weitere Aufregung in der Politik vermeidet.

Seine Art der Zuverlässigkeit hat Diepgen in den zehn Jahren als Bürgermeister bewiesen. Nur wenige Skandale. Bedeutungslosigkeit in der Bundespolitik. Unerwartetes passierte mit Diepgen nicht – fast nicht.

Einen Tag nach der Bundestagswahl 1994 erlitt der Mann, der nur schwer seine Gefühle zeigen kann, einen Kreislaufkollaps. Die Berliner CDU hatte acht Prozent verloren und lag erstmals seit Jahren wieder hinter der SPD. Innerparteiliche Gegner brachten sofort die Namen von Bundesbauminister Töpfer und des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Scholz für die Spitzenkandidatur in die Debatte. Doch diese Krise überlebt Diepgen ebenso schadlos wie das Wahldebakel von 1989, als entgegen aller Wahlprognosen der SPD-Mann Walter Momper Regierender Bürgermeister wurde.

Schadlos gingen an Diepgen auch zwei Korruptionsskandale vorüber. Anfang der achtziger Jahre hatte er als CDU-Fraktionsvorsitzender von dem korrupten Bauunternehmer Franke 100.000 Mark angenommen. Diese Affäre sollte mehreren Politikern den Kopf kosten, Diepgen jedoch konnte sich mit einer lapidaren Erklärung retten: „Es gab keine Spendenquittungen, weil die Spenden nicht steuerlich abgesetzt werden sollten.“

Auch bei der sogenannten Autobahnraststättenaffäre hatte Diepgen seine Finger im Spiel. Aus seiner Kanzlei kam ein Teil der Verträge, in denen kurz vor der Wiedervereinigung der damalige DDR-Verkehrsminister Gibtner (CDU) auf die üblichen Konzessions- und Gewinnabgaben an 41 Raststättenstandorten verzichtete.

Der allseits erwartete Wahlerfolg Diepgens läßt sich nicht zuletzt natürlich auch auf Schwäche der sozialdemokratischen Herausforderin zurückführen. Ingrid Stahmers Wahlkampf war so zahm, daß ein Christdemokrat erfreut feststellte: Das im Februar ausgeheckte Wahlkampfkonzept mußte kein einziges Mal geändert werden. Dirk Wildt, Berlin

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