: Ein Mann, der gerne im Kino weint
■ Hellmuth Karasek stellte seine Lieblingsfilme im Buch „Mein Kino“ vor
Wen interessiert es schon, von einer fremden Person zu erfahren, welche Szenen aus 100 Jahren Kinogeschichte sie am meisten begeistern, und vor allem, wer würde es sich anmaßen, mit seinen Einschätzungen gleich in Buchform ein großes Publikum beglücken zu wollen? Indes, Hellmuth Karasek, Mitstreiter im „Literarischen Kabinett“, Spiegel-Feuilletonist und oftmals peinlicher Selbstbespie-gler, demonstriert mit seinem neuen Buch Mein Kino - die hundert schönsten Filme (Hoffmann & Campe) die notwendige Eitelkeit, und interessierte damit am Mittwoch abend immerhin an die 80 Zuhörer in der Buchhandlung Heymann.
Waren diese vermutlich in erster Linie ihrer Neugier auf die Person gefolgt, so trat Karasek im Laufe des Abends in wohltuender Weise hinter seine Würdigung dieser „Volkskunst, der Popart der letzten 100 Jahre“ zurück. Ohne den eigenen (unfehlbaren) Blick aufzudrängen, gelang es ihm, dank umfangreicher Kenntnisse von Zeit- und Filmgeschichte, die verborgenen Feinheiten seiner Lieblingsfilme schmackhaft zu machen, etwa wenn er im Chaplin-Film Modern Times das Kauderwelsch eines Liebesliedes als Spitze des Stummfilmstars gegen die damalige Neuerung Tonfilm entlarvt.
Gänzlich unprätentiös auch Karaseks persönliche Vorliebe für den Film insgesamt: Der größte Vorzug des Kinos sei es, mit dem Publikum die freigesetzten Emotionen teilen zu können. Karaseks Bekenntnis, er habe öfter in der kollektiven Heimlichkeit des Kinos geweint, als zu Hause über einem Buch, überraschte dann auch einige seiner anwesenden Fans. Versagt doch der Bildungsdünkel noch immer so manch einem, den vermeintlich trivialen Film als gleichwertige Kunst neben der Literatur zu akzeptieren.
Dieser persönlichen Begeisterung verdankte der Abend jedenfalls einen durchweg fesselnden Ausflug in die Welt hinter, vor und auf der Filmleinwand. Dafür seien Karasek sogar seine kurzen Allerwelts-Ausflüge in die Psychoanalyse (a la „als Kind drängt es einen in diesen dunklen Mutterschoß des Kinos“) verziehen.
Karen Jaehrling
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