: Ein Kuß für den Ball
■ Erweckt von respektlosen Fans, erreichte Becker die 3. Runde der Australian Open. Titelverteidigerin Pierce flog raus
Melbourne (dpa) – „Normalerweise gibt es so eine Atmosphäre nur beim Davis-Cup“, beschrieb Becker die emotionale Hochspannung auf „Show Court 1“ bei seinem 4:6, 3:6, 6:2, 6:1, 6:4-Erfolg gegen den Schweden Thomas Johansson. Fanatisch und vor allem laut feuerten die schwedischen Fans ihren 20jährigen Landsmann an, besonders, als dieser gegen einen indisponierten Becker völlig überraschend die ersten beiden Sätze gewonnen hatte. Genervt („ein bißchen mehr Respekt wäre nicht schlecht“) bedachte der Deutsche die Störenfriede mit bösen Blicken. Später sagte er jedoch: „Sie haben mich gerettet. Wenn die schwedischen Fans mich nicht so aufgestachelt hätten, wäre ich vielleicht gemütlich nach Hause gefahren.“ Eigentlich habe er es ja lieber etwas ruhiger, aber: „Ich bin schon lange genug dabei, um zu wissen, was man da macht.“ Becker mobilisierte seine eigenen Fans und startete damit einen Wettkampf auf den Tribünen.
Der Weltranglisten-114. aus Linköping, der im dritten Satz beim Stande von 2:2 drei Breakbälle vergab, ging in der stimmungsvollen Umgebung nahezu sichtbar in die Knie und machte phasenweise fast so krasse Fehler wie zuvor sein geistesabwesender Gegner. Zwei Tage nach dem Fünfsatz-Erfolg über den Briten Greg Rusedski meisterte Becker am Ende seinen zweiten Tennis- Marathon in 2:53 Stunden erfolgreich, zum neuntenmal in seiner Karriere holte er einen 0:2-Satzrückstand noch auf. Mit dem 19. der Weltrangliste, Magnus Larsson, kommt in Runde drei ein weiterer Schwede auf ihn zu. „Ich hoffe“, sagte der 28jährige mit einem ironischen Lächeln, „im nächsten Spiel machen es die schwedischen Fans ähnlich.“
Gar nicht zum Lächeln zumute war der Titelverteidigerin. Mit langen Schritten und starrem Blick eilte Mary Pierce davon, nachdem Sekunden zuvor die Russin Elena Lichowtschewa mit einem As ihr Schicksal bei diesen Australian Open besiegelt hatte. Kraft- und saftlos hatte sich die 21jährige mit 4:6, 4:6 der Russin ergeben. „Ich bin nie richtig in Schwung gekommen“, sagte die prominenteste Zweitrunden-Verliererin von Melbourne. „Es war einer dieser Tage, an denen gar nichts ging.“ Für die in Kanada aufgewachsene, in Florida lebende und für Frankreich spielende Mary Pierce lief es nach dem Vorjahressieg in Melbourne alles andere als optimal. 16 Turniere bestritt sie im vergangenen Jahr, nach Australien siegte sie nur noch in Tokio. Nach dem ersten von vier Grand-Slam-Turnieren der Saison wird sie nun aus den Top ten fliegen und viel tun müssen, um solche Niederlagen wie gegen die Weltranglisten-51. aus Moskau künftig zu vermeiden. „Ich hätte nicht erwartet, daß sich Mary so schlecht bewegt“, sagte die Überraschungssiegerin nach ihrem größten Erfolg im vierten Profijahr.
Hatte Boris Becker nach seinem Triumph über Johansson filmreif den Ball geküßt, ballte Anke Huber nur kurz die Faust, nachdem sie ihre Aufgabe gegen die Schwedin Asa Carlsson erledigt hatte. Die Masters-Finalistin war nach ihrem 6:1, 6:2-Pflichterfolg optimistisch: „Ich habe die Chance, weit zu kommen.“ In der nächsten Runde hat sie eine wesentlich leichtere Aufgabe als Becker zu lösen: Huber bekommt es mit der Tschechin Ludmila Richterova (Weltranglistenplatz 74), die sie im Vorjahr in der ersten Runde glatt besiegt hatte.
Wesentlich schwerer wird es für Jana Kandarr, die Yone Kamio (Japan) mit 7:6 (7:3), 6:3 bezwang und nun am Samstag auf Conchita Martinez (Spanien) trifft.
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