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Ein Konzert erster Klasse

■ Champagner und Keilerei in der VIP-Lounge beim Jackson-Konzert

Damit hatte niemand gerechnet. Die schwarz-gekleidete junge Dame im Couture-Kleidchen und frisch gelegten Haaren macht eine begeisterte Handbewegung und räumt den halben Tisch ab. Sektgläser fallen krachend zu Boden. Der Kübel schaukelt.

Michael Jackson hat soeben begonnen zu spielen. Sie muß auf die Tribüne. Da hilft gar nichts. Auch nicht die verstörten Kellner des Hotel Intercontinental im VIP-Zelt zu Diensten all derjenigen, die 200 Mark angemessen finden, um sich von der Rockmeute abwenden zu können und ein Erste-Klasse -Konzert zu erleben. Darunter so illustres Volk wie die Seicht-Pop-Produzenten Jack White und Frank Farian, Berliner Größen, Udo L. und Rio Reiser, selbstverständlich der heimische Geldadel mit Anhang. Man tummelt sich im eigens vom Veranstalter und Pepsi-Cola kurzfristig aufgestellten Catering-Zelt. „Uns wurde gestern erst Bescheid gesagt, keiner wußte, wer für das Buffet verantwortlich ist, es war schrecklich“, stöhnt eine Interconti-Mitarbeiterin und hat alle Hände voll damit zu tun, Udo von der Champagner-Bar abzuhalten.

Erwecken eingezäunte und eigens bewachte Bereiche auf freiem Feld im allgemeinen bei sensiblen Zeitgenossen ungute Gefühle, die VIP-Lounge war das heißbegehrteste Areal vor dem Reichstag nach Michaels Garderobe. So zumindest zu Beginn des Konzerts. Als sich dann herausstellt, daß die eigens vom Vortag zur Tribüne umgerüstete Rock-Marathon -Bühne ohne Fernrohr kaum einen exklusiven Blick auf das Rock-Ereignis bieten kann, kippen nicht nur Sektgläser, sondern auch die Stimmung. Mann und Maus erklimmt die Bestuhlung, und das teure Volk fängt an, sich in die Haare zu kriegen. Da hilft kein Chanel und Armani. „Wer mir im Wege steht, den schieb‘ ich weg“, tobt eine Endvierzigerin, „wofür hab‘ ich denn bezahlt..Vielleicht dafür, einmal mit dem 'Bild'-Klatschkolumnisten Michael Graeter auf einer Ehrentribüne sitzen zu können und dessen lauen Scherzen zu lauschen. Am Einlaß spielen sich herzergreifende Szenen ab. Teenies glauben Michael Jackson drinnen gesehen zu haben und lassen sich auch nicht zurückhalten, als der Bruder von „Rambo“ Stallone angerollt kommt und seine VIP-Karte vergessen hat. Was nun? Erst einmal ein Foto des im Käfig auf Großwildjagd gehenden Springer-Fotografen, der sich neben den Kollegen von 'Playboy‘ und anderen Tratsch -Postillen im Zelt pudelwohl fühlt, während die restlichen Pressevertreter in die Meute gejagt werden.

Immerhin ist das Ereignis auch fast schon vorbei. Eine Rock -Verkaufssshau, die alle auf ihre Kosten kommen läßt. Tune in, turn on, drop out mit Pepsi. Je nach Geldbeutel erste oder zweite Klasse oder gar nichts. Wer nicht hören wollte, hatte dies am Wochenende auch spüren können.

Markus Pachowiak

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