: Ein Klassiker schon zu seinen Lebzeiten
Der russische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Joseph Brodsky ist in Brooklyn gestorben ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Nach St. Petersburg, das für den eingefleischten Antikommunisten irgendwo immer „Leningrad“ blieb, ist er nun doch nicht mehr zurückgekehrt. Am vergangenen Sonntag erlag der 55jährige Joseph Brodsky in Brooklyn einem Herzleiden.
Ende 1995 hatte Brodsky in New York noch einen Essayband veröffentlicht. „On Grief and Reason“ – „Über Trauer und Vernunft“ heißt dieses, sein nun endgültig letztes Buch. Wieder hatte der geborene Lyriker, Russe und Literaturnobelpreisträger Brodsky einen Prosa-Band geschrieben – natürlich, wie seine gesamte Prosa – auf englisch. Die darin versammelten Essays, unter anderen über den Spion Kim Philby, den römischen Kaiser Mark Aurel, den amerikanischen Dichter Robert Frost und über „Die Persönlichkeit im Totalitarismus“, haben ihn um 500 weitere Seiten über die Grenzen zwischen den Genres, den Sprachen und den Nationen hinausgehoben.
Fast die gleiche Grenzwanderung wie Brodsky, wenn auch Jahre vor ihm, hat in unserem Jahrhundert Vladimir Nabokov vollzogen, ebenfalls ein St. Petersburger. Die breiten Horizonte, die später ihre Stärke wurden, hatten beide so nicht angestrebt. Den jungen Nabokov zogen Eltern und Verwandte in die Emigration. Tatsächlich war es die einzige Wahl, die seinem Milieu entsprach. Brodsky wurde nach langer Lagerhaft von dem Staat verstoßen, der schließlich auch nicht seiner war. Als er sich 1972, nach seiner Ausweisung, in Wien wiederfand, nahm Brodsky ohne Zögern das Angebot seines Freundes, Karl Proffer an, an der Universität von Michigan zu lehren: „Ich fand: Wenn sich schon grundlegende Änderungen in meinem Leben vollziehen, warum soll ich nicht hundertprozentige Änderungen daraus machen?“
Anders als Nabokov, der in einem großbürgerlichen Haus mit ausländischen Gouvernanten aufgewachsen war, mußte Brodsky sich das Englische erkämpfen. In dem erwähnten letzten Buch verrät die Erzählung „Trophäen“, wie sich der russische Nachkriegs- Teenager durch das Kino, die Musik und einzelne Kleidungsstücke der westlichen Welt näherte.
Einen großen Teil dieser Annäherung vollzog Brodsky in einem winzigen Verließ hinter dem Kleiderschrank. Dies war die einzige Insel der Privatheit, die den Jungen vor den MitbewohnerInnen in der Petersburger „Kommunalka“ schützte, der von der Not erzwungenen Gemeinschaftswohnung, wo er sich mit seinen Eltern ein einziges Zimmer teilte. Aus dieser Zeit hat sich Brodsky einen starken Ekel vor allem Muffigen und Engen bewahrt. Bei aller Liebe zu seiner Heimat und zu seiner Sprache gehörte dazu auch jene provinzielle Beschränktheit, die sich so gerne „Patriotismus“ nennt.
Auf die Frage, ob man auf englisch ebensogut schreiben könne, wie auf russisch, antwortete er einmal einem naiven Interviewer aus Moskau: „Ich glaube, daß man in jeder Sprache sehr gut schreiben kann und daß dies vom Talent abhängt. In der Kultur der englischen Sprache (so fügte sich ihre Geschichte) hat es mehr Möglichkeiten gegeben, die Wahrheit zu schreiben, und das hat sich im großen und ganzen auf die Sprache ausgewirkt.“ Die Rolle des Dichters als „Gewissen der Nation“, die sich unter den besonderen russischen Verhältnissen herausbildete und die die Russen noch immer als Auszeichnung für ihre Dichter betrachten, hat ihm nie behagt. „Es ist sehr viel ehrenhafter und sehr viel schwieriger, die Aufmerksamkeit der Nation zu erringen, wenn dir das politische System durch keinerlei idiotische Spielregeln dabei hilft“, bemerkte der Schrifsteller einmal dazu.
Dennoch war der „Klassiker zu Lebzeiten“ gewissenhaft zu nennen. Auf seinem Schreibtisch in Brooklyn Hights, wo er zurückgezogen mit Frau, Tochter und stets mindestens einer Katze lebte, störten ihn die vielen Briefe und Kongress-Einladungen. Und doch hat er sie stets gewissenhaft beantwortet. Für die westliche Welt hat Brodsky, dessen Lyrik über Jahrzehnte russischsprachig geblieben war, zuletzt noch einige Gedichte auf englich geschrieben. Dazu gehört eine „Melodie für Bosnien“. Darin singt er von der „Zeit..., die die Ermordeten von den Mordenden trennt, und deinen Stamm zu den letzteren zählt.“
Als einst die Sowjet-Richterin dem wegen parasitärer Lebensweise angeklagten jungen Mann vorwarf, er könne kein richtiger Dichter sein, weil er keinem Schriftstellerverband angehöre, antwortete der schlagfertig: „Ach, und ich dachte immer, das käme von Gott.“
Trotzdem ließ Brodsky in seinen letzten Interviews durchblicken, daß er hinter der neuen Grenze, die er nun überschritten hat, eher kein höheres Wesen erwartete. Was aber Petersburg-Leningrad anbetrifft, so würde er seine nichterfolgte Rückkehr dorthin nicht bedauern. „Wenn ich auf Situationen und Orte zu sprechen komme, die mir teuer sind, weshalb sollte ich da dem Sentiment ausweichen“, sagte er einmal: „Aber das ist bei mir in keinem Falle Nostalgie. Es ist das Bewußtsein dessen, daß es sich bei unserem Leben um einen unumkehrbaren Prozeß handelt. Und wenn Sie das erst mal erkennen..., verflüchtigt sich das Phänomen namens Nostalgie.“
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