crime scene : Ein Killer geht um in Zürichs einstiger linksalternativer Szene: Stephan Pörtners genaue Milieustudie
Man kann seiner Vergangenheit nicht entkommen. Auch Köbi (Schweizer Koseform von Jakob) Robert wird von ihr eingeholt, als er, gut zwanzig Jahre nach seiner bewegten Jugend in der Züricher Alternativszene, in Santiago de Compostela einen alten Bekannten trifft, den er immer für tot gehalten hat. Immerhin hat er damals seine Beerdigung besucht. Köbi, der schon in mehreren Krimis des Zürichers Stephan Pörtner ermittelt hat, hat nie was „Richtiges“ gelernt, und das bekannte Milieu nervt ihn auch allmählich. Gerade beginnt er, sich mit dem Gedanken anzufreunden, in Santiago eine kleine Finca zu kaufen, um sich endgültig an ein friedliches Leben zu gewöhnen, als der totgeglaubte Mark Haussmann in sein Leben tritt. Mark, der einst als Züricher Hanfkönig einen legendären Ruf genoss, verspricht Köbi, Beziehungen spielen zu lassen, damit der sein nicht ganz sauberes Geld an der Polizei vorbei aus der Schweiz schaffen kann, um endlich sein Häuschen zu erstehen. Dafür soll Köbi ihm lediglich den kleinen Gefallen tun, Marks in Zürich lebende Tochter, die nicht weiß, wer ihr Vater ist, darauf vorzubereiten, dass er noch lebt. Man fährt gemeinsam in die alte Heimat. Doch bevor Köbi den kleinen Gefallen erfüllen kann, ist Mark schon tot, und diesmal wirklich. Er bleibt nicht der Einzige. Ein Killer geht um in der ehemaligen Züricher Politszene. Schon um die eigene Haut zu retten, muss Köbi ermitteln.
Man kann das alles einen Krimi nennen. Immerhin gibt es genügend Tote. Doch wäre es wohl übertrieben, wollte man behaupten, dass man vor Spannung umkommt. Während die Krimihandlung ihren Gang geht, ist es vor allem die Milieuschilderung, die diesen Roman aus der Masse heraushebt. Wirklich viel Freude – da ist dies dann ganz Regionalkrimi – hat wahrscheinlich, wer sich in Zürich gut auskennt. Und noch mehr, wer vor zwanzig Jahren dort eine wilde Jugend verlebte. Köbi als Erzähler legt ausgesprochen viel Wert auf die genaue geografische Verortung seiner Taten und streut Unmengen von Insiderwissen über Szeneorte und -gepflogenheiten ein. Die Personen, die er im Zuge der Ermittlungen trifft, werden einer genauen Vorher-nachher-Analyse unterzogen, die häufig ernüchtert. Der Dealer von einst ist ein stockbürgerlicher Familienvater geworden, der ehemalige Bohemien aus gutem Hause ein heruntergekommener Alkoholiker. Köbis einstige Geliebte und immer noch Angebetete hat sich als Arztgattin im guten Leben niedergelassen. Aber, wiederum: Niemand entkommt seiner Vergangenheit. Dies ist das alles grundierende Thema dieser kriminalliterarisch angelegten Szenebeschau. Sie zeigt mit dem so klarsichtigen wie ernüchterten Blick des in die Jahre gekommenen Ex-Szenegängers, dass weder die kleinen noch die großen Sünden der Jugend jemals vergessen sind. Man sieht sich immer zweimal im Leben. Ein bisschen melancholisch kann diese Einsicht schon stimmen, doch Köbi trägt sein Päckchen an Melancholie und enttäuschter Liebe mit einer stoischen Gelassenheit, die fast, auch wenn das als Attribut für einen Kriminalroman seltsam anmuten mag, tröstlich wirkt. So ist halt das Leben, und für manche ist es früher zu Ende als für andere. Mit dieser philosophisch gefestigten Geisteshaltung nimmt Köbi als Ermittler und Stephan Pörtner als Erzähler dem Verbrechen gegenüber den analytischen Blick des unbestechlichen Beobachters ein. Zorn und Eifer wird man vergeblich suchen in diesem grundgelassenen Stück Genreliteratur, an dem nur eines stört: die Gestelztheit der Dialoge. Das ist ein Grundproblem vieler deutschschweizerischer Autoren. Das Hochdeutsche als Schriftsprache pflegt der Eidgenosse ja sehr. Doch beim Schreiben den umgangsprachlichen Duktus des gesprochenen Hochdeutsch realitätsnah zu treffen muss für einen Schweizer extrem schwierig sein. Damit tun sich ja schon viele Deutsche schwer. KATHARINA GRANZIN
Stephan Pörtner: „Köbi Santiago“. bilgerverlag, Zürich 2007, 236 Seiten, 19,80 Euro