Marmor Stein und Eisen Brecht: Ein Kassiber
■ Eine Wortmeldung zum 100. Geburtstag
Der erste Text von Brecht, der mich erreichte, war das Gedicht „Als ich in weißem Krankenzimmer der Charité“. Ich fand die späten Verse über den Gesang der Amsel und die Todesfurcht im häuslichen Bücherschrank, in den „Hundert Gedichten“ des Aufbau-Verlags – nicht gedruckt allerdings, sondern von der Hand meiner Mutter ergänzt auf der letzten Seite, zusammen mit den Versen zum 17.Juni: „Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?“ Was die Schule mit Fleiß verderben wollte, hat der Kassiber in nur einer Minute gerettet. Mittlerweile sind mir die sarkastischen, paradoxen und lakonischen Sätze Brechts näher als die freundlichen und altersweisen. Aber gehört nicht beides zusammen? Das Krankenzimmer-Gedicht, eine Botschaft auf der Schwelle zum Jenseits, läßt nur Hartgesottene gleichgültig; der Zettel, auf dem Brecht die Zeilen im Mai 1956 festhielt, ist kaum größer als eine Kinderhand. Er ist zu sehen in der Brecht-Ausstellung der Akademie der Künste. Eine Notiz von 1927/28, gleichsam das Motto zum Brecht-/ Wahl-Jahr, heißt: „deutschland fehlt nur eine gute 6pfennigzigarre.“ Erdmut Wizisla
Leiter des Brecht-Archivs und Ausstellungsmacher Foto: Rolf Zöllner
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