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■ Zum Freispruch des Hamburger Amtsgerichts in Sachen „Auschwitz-Mythos“Ein Justizskandal, der keiner ist

„Jetzt hat also auch Hamburg seinen Neonazi-Justizskandal“, kommentierte Ralph Giordano, um kein mahnendes Wort verlegener Publizist, in der Hamburger Morgenpost. Die setzte mit dem Titel des nächsten Tages noch eins drauf: „Hamburg schämt sich“ (4.2.95). Die nahezu einhellige Empörung gilt einer voreilig als „Skandalurteil“ (Bild, 3.2.95) eingestuften Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg, durch die zwei Angeklagte aus der neonazistischen Szene vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen worden waren: Das zur Verhandlung stehende Wort vom „Auschwitz-Mythos“ sei nicht ohne weiteres mit der „Auschwitz- Lüge“ gleichzusetzen, urteilte Amtsrichter Albrecht Kob und zog Zorn und Unverständnis auf sich.

Die Anklagepunkte der öffentlichen Entrüstung lauten: „Die feiern das doch als Sieg. Und das kann nicht Sinn der Sache sein“ (Grünen-Sprecherin Krista Sager, Morgenpost, 4. 2.). Oder: „Die wollten mit dem Wort ,Mythos‘ eindeutig das vergleichbare Wort Lüge ausdrücken“ (Ignatz Bubis). Oder: Hier hat ein Richter „fatal versagt“ (so das Verdikt von Michel Friedman, ebenfalls vom Zentralrat der Juden, Hamburger Abendblatt, 4./5.2.).

Der inkriminierte Ansagetext des „Nationalen Info-Telefons“ hatte folgenden Wortlaut: „Wie nicht anders zu erwarten war, ist die Hollywood-Seifenoper des Juden Steven Spielberg ,Schindlers Liste‘ mit Oscar-Auszeichnungen überhäuft worden. Ein Film von Spielberg erhält grundsätzlich einen Oscar. Richtet er sich gegen Nazi-Deutschland, kommen weitere dazu, und hält er den Auschwitz-Mythos am Leben, wird er mit sieben Oscars zum Film des Jahres. In Deutschland haben trotz Medienpropaganda erst 300.000 Manipulierbare den Film gesehen. Vor allem viele Schulkinder wurden gezwungen, das Machwerk anzuschauen. Zum Vergleich: ,Otto, der Film‘, kam auf über drei Millionen Besucher.“

Gewiß, die antisemitischen Untertöne dieser Filmkritik sind nicht zu überhören. Doch reichen sie aus für eine Verurteilung? Ein neuer „Deckert-Richter“ vom Format eines Orlet ist hier jedenfalls nicht zu outen: Erfahrene Hamburger Strafverteidiger wie Otmar Kury und Wolf Römmig warnen davor, Albrecht Kob, der ihnen als rechtsstaatlich prozedierender Strafrichter bekannt ist, zum verkappten Sympathisanten von Neonazis zu stempeln. Zur Person also Fehlanzeige.

Und in der Sache? Der Amtsrichter, der übrigens einen der Angeklagten kürzlich wegen der Verwendung von Nazi-Emblemen verurteilte, hat nichts anderes getan, als auf einer sprachlichen Differenz zu bestehen: der zwischen „Lüge“ und „Mythos“. Die Rede von der „Auschwitz-Lüge“ läuft bekanntlich auf eine Leugnung des nationalsozialistischen Massenmordes hinaus, von der Neonazis wissen, daß sie strafbar ist. Weshalb sie, wie nicht anders zu erwarten, ihre Agitation verfeinerten. „Auschwitz-Mythos“ besagt im Kern, es werde dem Vernichtungslager eine überhöhte, jedenfalls unangemessene Bedeutung zugesprochen. Das zielt polemisch auf die Überlieferung des nationalsozialistischen Völkermordes, setzt aber das Ereignis selbst voraus (ebenso wie in der französischen Debatte um den „Mythos der Résistance“).

Die Rede vom Mythos weist sehr unterschiedliche Bedeutungen auf. Der Münchener Historiker Christian Meier zum Beispiel schreibt Auschwitz eine „mythische Qualität“ zu. Mythisch im Sinne „eines besonders tief ins Gedächtnis, in die Phantasie und die Ängste der Menschheit eingekerbten Faktums“, das im Grunde nicht zu verstehen sei („Vierzig Jahre nach Auschwitz“, 1990, S. 48 f; ähnlich FAZ, 27.1.95).

Neonazis werden sich nicht mit solch aufklärender Lektüre aufhalten – doch sie reagieren mit affektiver Abwehr, mit aggressivem Unbehagen auf die besondere Bedeutung, die Auschwitz weithin zugeschrieben wird. Das aber ist etwas anderes als die platte Leugnung des Holocaust.

Amtsrichter Kob hat also das beim Wort genommen, was die Angeklagten wirklich gesagt und ihnen nicht mit Blick auf ihre Gesinnung unterschoben, was sie „eigentlich“ gemeint haben. Das ist weder naiv noch skandalös, sondern Ausdruck einer zurückhaltenden Interpretation, wie sie von einem seriös arbeitenden Strafjuristen erwartet werden kann: Im Zweifel gilt der Wortlaut, nicht irgendeine Bedeutungsvariante, die dem Interesse an einer Verurteilung entgegenkommt.

Das Gericht muß dem Angeklagten die Tat nachweisen, und das heißt im stets prekären Fall von Propagandadelikten: daß seine Äußerung genau den strafbaren Aussagegehalt hat – und keinen anderen. Kann aber dieser Nachweis nicht geführt werden, ist im Zweifel freizusprechen.

Wer da verächtlich von „formaljuristischen“ Spielereien spricht, hat von Strafjustiz im demokratischen Verfassungsstaat nichts verstanden. Keine Handlung darf bestraft werden, die nicht zuvor hinreichend bestimmt wurde. Daraus folgt unter anderem das „Analogieverbot“, das den Durchgriff auf irgendwie ähnliche, vergleichbare Fälle verhindert. Es war nicht von ungefähr eine der ersten rechtspolitischen Taten der Nazis, diesen Grundsatz abzuschaffen und das „gesunde Volksempfinden“ als Richtmaß einzusetzen.

Und noch eine Kleinigkeit ist zu bedenken. Seit dem 1.12.1994, als die Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen 130 in Kraft trat, ist zwar nicht mehr allein die Leugnung des Holocaust strafbar, sondern auch schon dessen „Verharmlosung“. Das Amtsgericht konnte diesen schwammigen Begriff aber gar nicht erwägen, eben weil allein das Gesetz Anwendung finden darf, das zur Tatzeit galt. Strafhemmnisse wie diese machen nun einmal den Rechtsstaat aus.

Es wird auch künftig antisemitisch eingefärbte Propaganda geben, der kein Staatsanwalt, kein noch so verschärftes Gesetz beikommt. Solche Strafrechts„lücken“ sind nicht zu schließen, es sei denn, man wollte das Grundrecht der freien Rede beseitigen. Wer den Schutz der Opfer ernst nimmt, muß vor allem politisch handeln. Im übrigen taugt die Strafjustiz am allerwenigsten, symbolische „Vergangenheitsbewältigung“ zu betreiben.

So darf denn für den Hamburger „Neonazi-Justizskandal“ mangels justizkritischer Masse Entwarnung gegeben werden – Wiedervorlage in fünf Wochen, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. Der gereizte Streit um „Mythos“ und „Lüge“ läßt immerhin ahnen, was ins Haus steht, wenn Strafrichter erst einmal darüber grübeln müssen, ob neonazistische Pamphlete als „Verharmlosung“ einzustufen sind. Diesen Skandalen können wir gelassen und mit maßvoller Empörung entgegensehen. Horst Meier

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