Ein Jahr nach Umweltkatastrophe in der Oder: Die Teichmuschel ist nicht mehr da
Ein Jahr nach dem Fischsterben besucht Umweltministerin Lemke die Oder. Das Ökosystem erholt sich langsam – doch eine neue Katastrophe ist möglich.
Die Ministerin guckt besorgt. Und sie sorgt auch dafür, dass das möglichst jede und jeder mitbekommt, der sie auf ihrer Reise begleitet. Vor einem Jahr vergiftete eine tödliche Welle das Leben im Fluss: Tausend Tonnen Fisch allein auf deutscher Seite starben, die Population der Großen Teichmuschel wurde praktisch ausgelöscht, Fischer standen vor dem Ruin. Der Grund: Eine ruckartig erhöhte Salzfracht im Fluss brachte die Goldalge explosionsartig zur Vermehrung. Dazu war die Oder in einem heißen und trockenen Sommer sehr warm und niedrig. Eine tödliche Mischung für Fische, Muscheln, Insekten.
Ein Jahr später heißt es: Ausgerottet hat das Gift keine Arten, aber sehr wohl dezimiert. Viele Fischarten sind wieder da – wenn auch mit weniger Exemplaren und nur, weil die Fischer sie schonen. Die Muscheln dagegen, die im Fluss große Bänke bilden und das Wasser filtern, seien erst einmal praktisch verschwunden und würden erst nach Jahren wiederkommen. Die Umweltministerin ist gekommen, um zu sehen, wie es dem Fluss geht. Sie sagt: „Alle Rahmenbedingungen für ein neues Massensterben sind da. Es kann jederzeit wieder losgehen.“
Nationalparkchef Treichel nickt, Lemkes Experten nicken: Das Salz im Fluss, vermutlich aus den oberschlesischen Bergbauregionen, hat nicht mehr die tödliche Menge wie vor einem Jahr. Die Abwässer auf polnischer Seite würden inzwischen besser geklärt. Aber: Es ist immer noch genug Salz im Fluss für eine Katastrophe. Der Fluss hat immer noch Niedrigwasser. Er ist immer noch zu warm. Und immer noch gibt es große Pläne, den Fluss weiter zu kanalisieren und auf deutscher und polnischer Seite massiv auszubauen.
Lemke hat mit allen geredet
Vielleicht das Schlimmste für die Experten: Sie verstehen nicht wirklich, was passiert, oder was nicht passiert. Sie können nicht sagen, warum es in diesem Jahr nicht zu einer Katastrophe wie 2022 gekommen ist. „Keiner weiß, warum es in diesem Jahr keine explosionsartige Ausbreitung der Alge gegeben hat“, sagt Nationalparkchef Treichel. Und Lemke meint: Wenn sie den Sommer ohne das nächste große Sterben überstehen, „werden wir sagen: Da haben wir Glück gehabt.“
Keine gute Grundlage für vorausschauende Umweltpolitik. Lemke hat mit allen geredet: mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa, damit Polen die Salzfracht verringert. Am Bergbau will Polen aber nichts ändern. Auch die großen Pläne für den Ausbau will das Nachbarland weiter verfolgen. Und auch Deutschland hat sich 2015 verpflichtet, die Oder weiter für Schiffe auszubauen, damit im Winter die Eisbrecher Überschwemmungen verhindern können.
Mit dem zuständigen Verkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) sei man im Gespräch, so Lemke. Aber ob das reicht, um am deutsch-polnischen Staatsvertrag zu rütteln, der „aus ökologischer Sicht hochproblematisch ist“, wie Lemke sagt? Und gegen den sie schon erfolglos als grüne Abgeordnete gekämpft hat. Damals hatte sie den Eindruck, das Thema habe in Deutschland niemanden interessiert, auch weil es so weit im Osten liegt.
Der Umgang mit Wasser muss sich ändern
Was bleibt der Ministerin? Werben für umfassenden Schutz der Umwelt, der Menschen, ihrer Arbeit und ihrer Heimat. „Biodiversität bedeutet, dass die Landschaft intakt ist, dass der Hochwasserschutz funktioniert, dass man Dürre und Hochwasser nicht nur mit technischen Maßnahmen begegnen kann.“ Flüsse seien mehr als nur Kanäle, gerade in Zeiten, wo die Sommer heißer und trockener werden und Wasser knapp. Der Umgang mit dem Wasser müsse sich ändern, intakte Auenlandschaften seien für alle wichtig.
Aber wenn die Verträge zum Flussausbau eingehalten werden müssen; wenn die polnischen Behörden Gerichtsurteile ignorieren, die den Ausbau in Frage stellen; wenn die Salzfracht im warmen Fluss gefährlich hoch bleibt und wenn niemand weiß, wann und warum die tödliche Algenblüte wiederkommt und selbst einer Bundesministerin „ein Stück weit die Hände gebunden sind“. Dann bleibt nur noch, zu hoffen, „dass es nicht wieder passiert.“
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