: Ein Jahr mehr Schule...
■ ... und der Senat zahlt keinen Pfennig dazu / Pläne für die „volle Halbtagsgrundschule“ vorgelegt / Einführung bis 2000 Von Kaija Kutter
„Per Indiskretion“, so hieß es gestern, sei die druckfrische Gremienvorlage für die Einführung der „vollen Halbtagsgrundschule“ publik geworden. Doch ein positives Echo, die das 16-Seiten-Papier hervorrufen könnte, käme Schulsenatorin Rosie Raab gewiß gelegen. Wenn schon der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 1996 kräftig wackelt, bleibt ein Trost: Künftig ist die Grundschule halbtags verläßlich – und die Behörde zahlt noch nicht mal drauf.
Täglich von 8 bis 13 Uhr, so verheißt das Raab-Papier, werden die Erst- bis Viertkläßler in der Schule betreut, auch wenn ein Lehrer krank wird. Ein Reservepool von 80 PädagogInnen soll verhindern, daß ABC-Schützen vorzeitig nach Hause müssen. Zweite und wichtigere Neuerung: Die wöchentliche Stundenzahl wird aufgestockt. Statt bisher 19 (1. Klasse), 20 (2. Klasse) oder 23 Stunden (3. und 4. Klasse) haben künftig alle Grundschüler 27 Unterrichtsstunden in der Woche. Das, so Schulbehördensprecher Ulrich Vieluf, entspreche einem vollen Jahr mehr Unterricht.
Der Stundensegen, der ausschließlich durch Lehrermehrarbeit (112 Stellen) und Umschichtungen (378 Stellen) finanziert wird, kommt vor allem halbtags berufstätigen Müttern und Vätern zugute: Sie müssen nicht mehr improvisieren, wenn das Kind vorzeitig nach Hause kommt. Laut Behördensprecher Vieluf hat das bereits in Niedersachsen an 100 Schulen erfolgreich erprobte Modell aber auch pädagogische Vorteile: Die Kinder sollen nicht mehr Stoff büffeln, sondern mehr Zeit zum Lernen haben. Dadurch, das habe die wissenschaftliche Begleitforschung im Nachbarland ergeben, würden Überforderungen der Kinder abgebaut.
So handelt es sich bei den zusätzlichen Stunden neben einer Stunde Deutsch in Klasse 1 und 2 vor allem um Unterrichtszeiten für „Freie Gestaltung“. Die kann je nach päd-agogischem Konzept der Schule für Spiel, Freiarbeit, Lesezeiten, Klassenrat, musische Erziehung, Bewegungsübungen oder anderes genutzt werden. Die Schulen werden angeregt, vom starren 45-Minuten-Takt abzuweichen, den Tag mit einem „Morgenkreis“ zu beginnen und nach dem Prinzip „Abwechslung von Spannung und Entspannung“ mit Spielpausen zu unterbrechen.
Zeit für die Pädagogen vor Ort, sich auf die neue Konzeption umzustellen, bleibt aus Behördernsicht genug. Denn – und hier liegt auch ein Wermutstropfen für Eltern – die volle Halbtagsschule hat erst ab 1999 für ganz Hamburg Gültigkeit. Nach den Sommerferien '95 soll es zunächst für alle 1. und 2. Klassen eine Anhebung auf 23 Stunden geben. Erst im Sommer 1996 wird in Harburg, Wilhelmsburg, Bergedorf, Mümmelmannsberg, Finkenwerder und Süderelbe die 27-Stunden-Regel eingeführt. Es folgen 1997 Hamburg-Mitte, Horn, Billstedt und Altona, 1998 Wandsbek und 1999 Eimsbüttel und Nord.
Die Streckung hat organisatorische Gründe: Denn zur Finanzierung werden auch Personalmittel im Umfang von 200 Stellen (13,1 Millionen Mark) aus dem Hortbereich abgezogen. Jene Betreuung der 6- bis 12jährigen Schulkinder soll künftig nur noch frühmorgens und am Nachmittag stattfinden. Da es über 15.000 Hortplätze gibt, haben die betreffenden Kindertagesheime eine gigantische Umstrukturierung vor sich. Allerdings, so versichert Behördensprecher Vieluf, soll der größere Teil der freiwerdenden Stellen zur Intensivierung der Nachmittagsbetreuung verwandt werden.
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