: Ein Hohn -betr.: H.W.Franke "Verludertes Grün", v. 10.10.94
Betr.: Dito
Der Unterhaltungewert Frankescher Gastkommentare ist bekannt. Aber, Horst-Werner Franke, was soll das undifferenziert Gerede, daß „45 Jahre Demokratie In Deutschland zu einer unpolitischen Generation geführt haben. Die vielen Jugendlichen, dIe sich in „Initiativen gegen Rechts“ oder in den Umweltverbänden u.ä. engagieren, beweisen genauso wie die grün-nahe Jugendinitiative (GJI) das Gegenteil. Man sollte die eigene Befindlichkeit nicht zum Maßstab politischer Aktivität hochstilisieren. Wer hat denn jahrelang an den Schaltstellen sozialdemokratischer Macht im Senat gesessen und den desaströsen Zustand der Bremer Schullandschaft mitzuverantworten? Wer hat den Schuldenberg fröhlich angehäuft, der jetzt mit unpopulären Sparbeschlüssen abgetragen werden muß? Also bitte nicht das demokratische System für etwas verantwortlich machen, wenn bestimmte Repräsentanten ihr Versagen – natürlich nur in der historischen Distanz – beklagen. Wie heißt es doch so schön: Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.
Sicher gibt es Konflikte zwischen der Partei-, Parlaments- und Regierungsebene, auch bei den Grünen. Aber im Gegensatz zu anderen Parteien diskutieren Grüne dieses öffentlich. Daß am 3. 10. grüne Mandatsträger am „Festakt“ im Kongreßzentrum teilgenommen haben, während der Landesvorstand aus Protest gegen die weitreichenden Demonstrationsverbote seine Teilnahme abgesagt hat, entspricht den unterschiedlichen Rollen und den unterschiedlichen Beurteilungen in einer Partei, die den Diskurs ernstnimmt. Ebenso drückt es das Spannungsverhältnis aus, das wir in einer Koalition auszuhalten haben.
Die Gefahr, daß alternatives Denken und Handeln durch die Teilhabe an der Macht paralysiert wird, ist vorhanden. Doch ist diese Sichtweise auch immer die Perpektive der vermeintlich moralischen Unschuld. Tatsache ist, daß angesichts der Notwendigkeit zum Kompromiß in einer komplexen Gesellschaft allzu einfache Fragen und Antworten der eigentliche Ausdruck von Politikunfähigeit sind. Im übrigen ist es ein Hohn, daß der Ex-Senator ausgerechnet grüne Senatoren an den Pranger stellt, die einen Gutteil ihrer Energie darauf verwenden müssen, die Betonfraktion in der SPD und FDP in Schach zu halten. Sollen wir Euch wieder allein regieren lassen oder gleich das Ruder der CDU überlassen, um wieder nach Herzenslust oppositionelle Reden halten zu können?
Die von Franke zitierten „Proselyten haben übrigens mit der Verpflichtung, sich den Geboten der jüdischen Religion unterzuordnen, nicht ihren Verstand und ihre Selbständigkeit abgegeben. Im Gegenteil. Hier wäre ein wenig Nachhilfeunterricht für den Ex-Bildungssenator angebracht.
Arendt Hindriksen, Landesvorstandssprecher B' 90/Grüne
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