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Archiv-Artikel

Ein Hexer als Wunderheiler

„Okay, in Gottes Namen“: Das einstige Torwartphänomen Andreas Thiel lässt sich breitschlagen,vom nächsten Jahr an der heftig zerstrittenen Handball-Bundesliga Versöhnung zu bringen

aus Köln ERIK EGGERS

Andreas Thiel antwortet bedächtig, überlegt, im Stile eines kalkulierenden Advokaten. Einstimmig hat ihn die sonst so zerstrittene Familie der deutschen Handballfunktionäre dazu auserkoren, ab Sommer 2004 als Nachfolger von Heinz Jacobsen die deutsche Handball-Liga zu führen. Und die Vorschusslorbeeren können größer kaum sein. „Er ist geradezu prädestiniert für diese Position“, sagt etwa Uwe Schwenker, Manager des THW Kiel, der Name Andreas Thiel bürge für Qualität in Deutschland und Europa. „Es kann keinen Besseren geben“, meint auch der Manager des VfL Gummersbach, Carsten Sauer.

Und doch scheint der „Hexer“, wie der 256-malige Handballnationalspieler wegen seiner schier überirdischen Fähigkeiten als Torwart einst genannt wurde, der Sache noch nicht so ganz zu trauen. Der 43-jährige Jurist gibt sich ausgesprochen zurückhaltend. „In einem Jahr“, sagt er nicht nur einmal, „kann viel passieren“. Offiziell, betont Thiel, werde Jacobsen Ende Juni für drei weitere Jahre als Vorsitzender des neu gegründeten Ligaverbandes gewählt. Deswegen sehe er sich „derzeit noch nicht hundertprozentig als Ligachef“, auch wenn Jacobsen mitgeteilt hat, dass er Thiel für einen „geeigneten und qualifizierten Kandidaten“ hält, dem er gern „das Staffelholz“ übergeben werde.

Die Aufgabe ist heikel, so oder so. Die Grabenkämpfe toben schließlich schwer im deutschen Handball, seit Jahren. Der altgedienten Funktionärsgarde um den Kieler Ligachef Heinz Jacobsen und Essens Chef Klaus Schorn steht dabei die Fraktion jüngerer Manager wie Schwenker, Sauer und Fynn Holpert (TBV Lemgo) fast unversöhnlich gegenüber. Der Haudegen Jacobsen, so lässt sich der Generalvorwurf der „jungen Wilden“ zusammenfassen, blockiere permanent die Modernisierung des deutschen Handballs. Der Streit eskalierte kürzlich, als Jacobsen die Verhandlungsführerschaft für den kommenden TV-Vertrag mit der Rechteagentur SportA lautstark für sich beanspruchte. Schwenker trat daraufhin aus dem eigentlich zuständigen Liga-Ausschuss zurück, totale Funkstille herrschte danach zwischen den Parteien. Nun soll Thiel den deutschen Handball wieder einen, die Erfahrungen als Spezialist für Familienrecht werden ihm dabei zugute kommen.

Er hat sich nicht um diesen Job gerissen. Als vor einigen Wochen die überraschende Anfrage von Carsten Sauer kam, bekennt Thiel freimütig, lehnte er spontan ab. Erst als er „ein bisschen bedrängt“ worden sei, als ihm klargemacht wurde, dass eigentlich nur er, dem Lagerdenken fremd ist, für diese Position in Frage komme, habe er schließlich zugestimmt: „Okay, in Gottes Namen, in einem Jahr stehe ich zur Verfügung.“ Das ist eine nonchalante Art, die im Fußball sonst nur Franz Beckenbauer ausstrahlt.

Gleichzeitig gibt er zu verstehen, dass seine Kölner Kanzlei weiter Vorrang hat in seinem Arbeitsleben. Die Position des Ligachefs wird er deswegen, anders als Jacobsen, lediglich ehrenamtlich wahrnehmen. Daher verstehe er sich auch nicht als Ligachef, sondern vielmehr als Moderator und Repräsentant. „Anders kann ich das beruflich nicht bewältigen“, sagt Thiel, der aber dafür auch wenig Probleme sieht: Die Geschäfte des Liga-Verbandes führe demnächst mit Frank Bohmann ohnehin ein hauptamtlicher Geschäftsführer. Vor allem ist er froh, „dass noch ein Jahr Übergangsfrist ist“. Bis dahin, ist sich Thiel sicher, wird die Abnabelung der Liga vom Deutschen Handball-Bund auch in der Satzungsstruktur abgeschlossen sein. „Das wird der Heinz Jacobsen schon gut machen“, meint Thiel.

So überraschend sein Auftritt als Funktionär nun auch scheint: Ganz war Andreas Thiel, der 1984 in Los Angeles mit der Nationalmannschaft olympisches Silber gewann und im Jahr 2000 seine sagenhafte Karriere im Trikot vom VfL Gummersbach und Bayer Dormagen beendete, von der Bildfläche des Handballs nie verschwunden. Natürlich hat er den Handball verfolgt, auch wenn er, wie er sagt, „die Grabenkämpfe nur am Rande mitbekommen“ hat. Immer noch trainiert er die Torhüterinnen von Bayer Leverkusen, und auch Männer-Bundestrainer Heiner Brand hat ihn in Vorbereitung der letzten drei großen Turniere „als Hilfstrainer für die Torhüter“ hinzugezogen. „Das hat Spaß gemacht, den Jungs auch“, sagt Thiel. Und dabei wirkt er so, als wollte er sich am liebsten sofort wieder in das Handballtor stellen.