: Ein Herz im Herbst
■ Würdelos und vital im würdigen Alter: Michel Serrault in Nelly und Monsieur Arnaud
Selten ist eine Handlung so einfach und kurz zusammenzufassen wie im Falle von Nelly und Monsieur Arnaud von Claude Sautet. Der pensionierte Richter Monsieur Arnaud bietet einer jungen Journalistin in Geldschwierigkeiten Hilfe und einen Job an: Nelly soll seine Lebenserinnerungen abtippen. Daraufhin trennt sie sich, jetzt schuldenfrei, von ihrem Mann. Während sie Arnaud näherkommt und sich ihrer beider Leben nicht zuletzt durch die Arbeit an seiner Biographie verstricken, beginnt sie ein unverbindliches Verhältnis mit seinem Verleger. Will man den Schluß nicht verraten, war's das schon. Aber nur an der Oberfläche.
Mit schöner Regelmäßigkeit bringt Claude Sautet jetzt schon seit geraumer Zeit ein ums andere Mal kleine irritierende Meisterwerke hervor. Filme, an denen man lernen kann, der Oberfläche zu mißtrauen – denn wenn der Blick sie nicht durchbricht, bleibt das Wesentliche verborgen. Das ist nun nicht mehr als eine Binsenweisheit und doch bei Sautet besonders bedeutsam, da es sein eigentliches Thema darstellt, inner- und außerhalb der Handlung. In Ein Herz im Winter ging es um den Versuch, Liebe zu erzeugen, wo keine sein kann. Es ging um Zeichen der Liebe, deren Mißdeutung der Protagonistin gemeinsam mit dem Zuschauer wiederfuhr.
Nelly und Monsieur Arnaud nun könnte auch heißen: „Ein Herz im Altersheim“. Der ältliche, aber würdevoll-vitale Monsieur Arnaud – gespielt von Michel Serrault, dessen Loblied zu singen hier etliche Seiten füllen würde – ist das Movens, seine Wohnung der Fluchtpunkt der Geschichte. Er versucht Nelly (Emmanuelle Béart) an sich zu binden, aber nur über den Umweg seiner Autobiographie. Er fordert sie auf, Stellung zu beziehen, seine Arbeit zu kritisieren, seine Handlungen zu beurteilen (welche ja wiederum, da von ihm selbst beschrieben, fiktiv sein könnten).
Gleichzeitig gesteht er sich eine erotische Annäherung nicht mehr zu. Nach eigenem Bekenntnis hat er damit abgeschlossen. Um so größer dann der Schock, wenn er dann im Streit ihr hinterherruft: „Sie sollten mal ordentlich ficken!“ Mit wem? Doch mit ihm? Später übernachtet sie in einem seiner vielen Zimmer. Er sitzt an ihrem Bett und betrachtet sie. Sie wacht auf und ist keineswegs überrascht. Erotisch? Oder gerade nicht, da gar nicht die Gefahr besteht, daß etwas passiert?
Genau hinschauen muß man also, daß einem vor allem nicht die Selbstinszenierungen und Konventionen, die zwischen den Figuren und ihren Gefühlen stehen und bei Sautet durch das exakt postierte Mobiliar veranschaulicht werden, den Blick verbauen. Und observieren darf man, man wird förmlich dazu eingeladen: Fenster, Spiegel, offene Türen machen die Räume weit, leicht einsehbar. Ein Trugschluß, denn die inneren Türen, die man nicht sieht, die klemmen.
Sven Sonne
Holi, Zeise
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