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Ein Herz für Kommerz

Wer dermaßen sympathisch und nett ist, kann gar niemals so groß wie Oasis werden: Die Berliner Band Ragazzi versucht sich auf ihrem Debütalbum „Soft Operator“ an Mainstream-Pop und Euro-Trash. Dabei denkt sie das eigene Scheitern gleich mit

von ANDREAS HARTMANN

Um Pop aus Berlin ist es derzeit gut bestellt. So gut, dass überall von einer Berliner Schule die Rede ist, obwohl es einen gemeinsamen Nenner, wie es vielleicht das Diskursive am Hamburg-Pop war, hier nicht gibt. Und daher ist es auch umso einleuchtender, dass hier niemand was mit dieser angeblichen Schule zu tun haben will. Man lebt in derselben Stadt, geht in dieselben Clubs und Kneipen, vielleicht sogar auf die gleichen Konzerte, macht aber unterschiedliche Musik. Berlin ist somit eher London als Hamburg, und das sollten endlich alle auf den Schirm kriegen.

Eine Band wie Ragazzi kommt da gerade recht. Die mischen dieses ganze jämmerliche Gerede von irgendwelchen zu gründenden Schulen richtig schön auf. Dazu kommt, dass mit so einer Musik derzeit niemand gerechnet hat. Was Ragazzi machen, kommt normalerweise nicht aus Deutschland, und mit Berlin verbindet man die Musik dreimal nicht. Allein schon dafür muss man diese Band lieben. Auch dafür, dass sie sich labeltechnisch ganz dezidiert in einer bestimmten Berlin-Ecke verortet – bei dem kleinen und feinen Label Lok, das für die kleinen und feinen Bands Komëit, Contriva und Mina zuständig ist, sich für Ragazzi jedoch temporär in Lok-O-Motion umbenannt hat. Vielleicht weil der Sound von Ragazzi für Lok eher untypisch ist.

Im Gespräch mit Matthias, Bob und Dirk von Ragazzi, das bei einem Semi-Edelitaliener stattfindet (Matthias: „Mit Ragazzi im „Vino & Libri“, das klingt doch gut“), fällt bei dem Versuch, sich der Musik zu nähern, öfters der Begriff „Pseudo-Kommerz“. Allerdings sind sich am Ende alle einig, dass sie diese Definition nicht als Schlagwort angehängt bekommen wollen: Jegliche Schubladisierung empfinden sie, wie alle Künstler, als Einschränkung. Genauso wie „Achtziger“. „Bitte nicht zu sehr auf dem Achtziger-Aspekt in unserer Musik herumreiten“, bettelt Dirk, „was wir machen, ist viel mehr als das.“ Womit er völlig Recht hat.

Es ist viel mehr als das und trotzdem will man nicht so schnell drauf kommen, was denn bitte schön genau. Denn vor allem DMX-Krew hört man schon heraus, zumal dessen ironische Herangehensweise an Eighties-Trash.

Doch Ragazzi bestehen darauf, weit mehr zu sein als bloß eine ironische Band. Sie vergreifen sich an Großpop, der in einer Traditionslinie von OMD bis Prefab Sprout zu verorten ist. Matthias’ Stimme schrammt dabei stets knapp an den ganz großen Erhabenheits-Organen englischer Popcrooner vorbei. Und auch wenn sich in Deutschland noch jeder bei dem Versuch lächerlich gemacht hat, so wie Jarvis Cocker zu klingen oder die deutschen Pet Shop Boys zu sein, versuchen Ragazzi genau dieses. Und machen sich nicht lächerlich.

„Unser eigentliches Ziel ist es, Musik für Menschen zu machen, die auch Britney Spears gut finden“ erläutert Matthias. Und fügt hinzu: „Ich selber liebe eben gut gemachten Mainstreampop.“ Und führt aus, was ihn an den Venga Boys und Eifel 65 so fasziniert, und dass sie einen italienischen Bandnamen haben, weil der ganze italienische Eurotrash Ende der Achtziger doch ein enormer Einfluss gewesen sei.

Ein wenig erinnert der Ansatz von Ragazzi an den von Blumfelds letzter Platte. Dort wollte eine Band aus Indieland plötzlich klingen wie die Münchner Freiheit. Ragazzi wollen klingen wie ein charmanter Mainstream-Pop-Clon. Die Indie- und Gitarrenrock-Vergangenheit von Ragazzi passt da auch ganz gut. „Die ist spürbar“, meint Dirk.

Er selbst spielte Gitarre bei den großartigen Tuesday Weld, die damals mit ähnlichem Indiepop keinen Erfolg hatten, wie ihn heute Miles oder Slut in die Charts transportieren. „Die Gitarre ist immer noch ein großartiges Instrument, doch dieses Indie-Dings interessiert mich einfach nicht mehr“, sagt Dirk heute und spielt dementsprechend bei Ragazzi hauptsächlich Synthies.

Gerade der Grenzgang zwischen Indie-Gestus und Großpop, dieses sich ständige Verheben und dabei das Scheitern gleich mitzudenken, macht den Reiz von Ragazzi aus. Ein paar Jungs ohne viel Geld in der Tasche wollen Smash-Hits machen. Das ist ein Witz und doch viel mehr. Auch jegliche Popstar-Arroganz geht ihnen natürlich ab. Wer so sympathisch nett ist, kann gar nicht so groß wie Oasis werden.

Die schönste Anekdote aus dem Interview mit den drei Jungs von Ragazzi aber ist diese: Auf die Bitte zu Beginn des Gesprächs, alle drei Namen aufzuschreiben, begann Dirk damit, mit Kuli und in Großschrift für alle drei Namensschildchen zu basteln. Wie in der Schule. Also doch.

Ragazzi: „Soft Operator“ (Lok-O-Motion/Hausmusik)

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