: Ein Haufen schräger Vögel
Keine ideologisch motivierte Handlungsanleitung: Raul Zelik liest in der Werkstatt 3 aus seinem neuen Roman „La Negra“ ■ Von Theo Bruns
Kolumbien ist der Schauplatz des neuen Romans von Raul Zelik. Unter dem Codenamen Glücklicher Kondor plant die Guerilla die Besetzung der Erdölmetropole Barrancabermeja. Das Buch besticht vor allem durch seine Hauptfiguren, einen Haufen schräger Vögel: Flacoloco, Spezialist für elekt-ronische Schaltkreise; der scheinbar unnahbare ELN-Comandante Ricardo; eine exzentrische alte Dame. Und schließlich die Brasilianerin La Negra, die nach Kolumbien gekommen ist, weil ihr Heimatland gegen Revolutionen immun zu sein scheint ...
Der 1968 in München geborene Schriftsteller und Journalist, der vor drei Jahren mit Friß und stirb trotzdem sein literarisches Debüt feierte, kennt Lateinamerika aus langjährigen Aufenthalten. 1989 zog er nach Berlin, wo er die Zeitschrift Arranca mit begründete und in der Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) aktiv ist.
Am Donnerstag wird er in der Werkstatt 3 aus La Negra lesen. Theo Bruns sprach mit Raul Zelik.
taz hamburg:Du hast das Thema Kolumbien auf zwei Ebenen behandelt: als Sachbuch und in dem Roman La Negra. Vertragen sich die beiden Genres?
Raul Zelik: Die politische Motivation ist manchmal stärker, als ich das gerne hätte. Ich bin skeptisch gegenüber jeder Form von edutainment.
Die junge deutsche Literatur stößt auf beträchtliches mediales Interesse. Auch die taz hat ihr unter dem Titel „Abfall für alle?“ eine Serie gewidmet. Ist diese Debatte für dich von Belang?
Man wirft da sehr viel in einen Topf. Mir ist zunehmend wichtiger, wie etwas erzählt wird, und nicht, was. Ich habe kein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber Leuten, die sich mit anderen Dingen beschäftigen als ich. Einige aus meiner Generation finde ich literarisch sehr überzeugend: Terezia Mora z.B., die letztes Jahr den Bachmann-Preis gewonnen hat, oder Tim Staffel. Die peinliche Variante sind Leute, die nichts zu sagen haben und darüber schreiben, wie toll es ist, in Bangkok zu koksen.
In Friß und stirb trotzdem wird bei einer antifaschistischen Aktion ein führender Neonazi getötet. In La Negra antwortet die Guerilla auf ein Massaker der Paramilitärs mit einer Vergeltungsaktion. Fasziniert dich Gewalt als Phänomen?
Nein, überhaupt nicht. Bei meinem ersten Roman hat mich vor allem das Lebensgefühl entwurzelter Jugendlicher interessiert. Bei La Negra ist es die kolumbianische Wirklichkeit, die ich als traumatisch erlebt habe, die Flüchtlings- und die Kriegswirklichkeit. Der Spannungsbogen des Buches ist so angelegt, dass es sich nur in einem Knall auflösen kann. Es kommt zu einem Showdown. Ein bisschen Hollywood, aber keine ideologisch motivierte Handlungsanleitung. Die Aktionen sind für die Dramaturgie wichtig, aber interessanter ist die Beziehung zwischen den Akteuren.
Du sprichst am Ende deines Buches vom Club der einsamen Träumer. Gibt es keine gemeinsamen Träume mehr?
Zum Schluss kommt es zu einer Annäherung zwischen La Negra und dem Guerillakommandanten Ricardo, aber gegenüber den Bauern bleiben sie distanziert. Die Bauern sind anders sozialisiert, interessieren sich für Misswahlen oder Telenovelas. Sie wissen, was sie für ungerecht halten oder zu tun haben, aber ihnen fehlt die Vision einer anderen Gesellschaft.
Entspringt diese Vereinsamung einem Prozess des Zurückbleibens, dem Gefühl, mit seinen Träumen allein zu sein – die Linke in den 90er Jahren?
Es ist eine Geschichte von Trennungen, vor dem doppelten Hintergrund, dass viele Leute umgebracht worden sind und die sozialen Bewegungen zerschlagen wurden. Und der Ort, wo Gedanken und ein Lebensgefühl von Aufbruch entstehen, sind eher die sozialen Bewegungen und nicht so sehr die Guerilla. Es gibt weiterhin eine Bewegung, die gegen Ausbeutung, Hunger und Landkonzentration kämpft, aber keine mehr, die sagt, wir müssen die Welt verändern.
Diese andere Seite, die man als die Seite des Begehrens bezeichnen könnte, fehlt heute fast völlig. Das ist mein Blick auf Kolumbien, wa-rum ich Schwierigkeiten hatte, dort länger zu bleiben. Ich habe die Leute bewundert, viel gelernt, aber mit bestimmten Wünschen habe ich mich einsam gefühlt. Andere sind von dem Projekt nicht losgekommen, haben weitergemacht. Auch dafür gibt es gute Gründe.
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