piwik no script img

Ein Gin Tonic zur KassetteRetro-Ding verdient Retro-Drink

Die Kassette erlebt ein Comeback. Wer in diesen Tagen ein Band in den Recorder legt und dazu einen Gin Tonic trinkt, verlängert den Sommer.

Die Kassette ist zurück – wo ist der Recorder? Foto: imago

S ie ist älter als ich, sorgte für mich in guten wie in schlechten Zeiten und verschwand bald nach dem Mauerfall. Aber jetzt kommt sie wieder: die Kassette. Jedenfalls sagen das Leute, die es wissen müssen: Musikmanager:innen, Label-Chefin:innen, In­ha­be­r:in­nen von Plattenläden. Der Trend zur Schallplatte, die noch älter ist als die Kassette, hat schon vor Jahren Einzug gehalten.

Jetzt folgt die Kassette. Aber die, die es wissen, sagen auch: Ungefähr die Hälfte der Leute, die sich heute Platten kaufen, haben gar keinen Plattenspieler. Ich ahne: Die Zahl derer, die keinen Kassettenrecorder haben, ist noch größer. Was wollen die also mit den „kleinen rechteckigen Dingern mit Löchern drin“, wie eine recht junge Kollegin die Kassette beschrieb. Immerhin wusste sie, was ich meine, als ich sie fragte, ob ihr Kassetten bekannt seien. Ihre Oma hatte welche, schob sie hinterher.

Ich besitze noch einen Kassettenrecorder, sogar ein Doppeldeck, ein Geschenk einer älteren Kollegin, nachdem mein 20 Jahre altes Gerät den letzten Umzug nicht überstanden hatte. Ich besitze natürlich auch noch jede Menge Kassetten. Darunter eine mit den „schönsten Männerstimmen“, so steht es auf der Hülle – ein Geschenk eines Freundes aus dem Westen, der mich damals rumkriegen wollte. Ich besitze auch eine Kassette mit den „schönsten Frauenstimmen“ – das Pendant dazu und von einem Freund aus dem Osten, der dem „Klassenfeind“ nicht so einfach das Feld überlassen wollte. Manchmal hörte ich erst die eine, dann die andere Kassette.

Mittlerweile sind beide Kassetten ziemlich abgegriffen und die Tonqualität hat gelitten, obwohl ich mit beiden Teilen ausnahmsweise mal keinen Bandsalat hatte. Die Boo­me­r:in­nen wissen, was das heißt: Wenn sich das braune Magnetband im Kassettengerät verhedderte und nur noch Tonsalat von sich gab. Dann hieß es: Sofort die Austaste drücken, Kassette rausholen und das Band mit dem Finger oder einem Bleistift wieder aufrollen.

Gin Tonic oder Mojito – das ist hier die Frage

Das Retro-Ding Kassette verdient natürlich einen Retro-Drink. Das kann nichts anderes sein als ein Gin Tonic. In den 80ern, als ich alt genug für Alkohol war, setzte sich in der DDR neben dem Mojito der Gin Tonic durch. Das mit dem Mojito war kompliziert, denn uns fehlte der weiße Rum und vor allem der braune Rohrzucker. Wer in Ostberlin lebte oder dort zu Besuch war, konnte mit einem bisschen Glück im Lindencorso oder im Palast der Republik Mojito trinken. Aber oft hatte die Bar dort weder Rum noch Rohrzucker. Und sehr häufig war die Eismaschine kaputt, die aus den Kühlschrankeisblöcken crushed ice machte.

Gin jedoch gab es selbst im Osten. Zwar nicht in Hülle und Fülle und schon gar nicht in Leipzig, wo ich bis zum Jahr des Mauerfalls studiert hatte. Den Gin kaufte ich in Berlin und schleppte ihn im Rucksack nach Leipzig, ebenso zahlreiche Tonic-Flaschen. Dann konnte die Party steigen, mit dem Drink und Musik aus dem Stern-Recorder.

Damals investierte ich einen nicht geringen Teil meines schmalen Studi-Budgets in Gin Tonic. Während Bier und Schnaps in der DDR billig waren, musste man sich für einen Gin Tonic bewusst entscheiden. Ein Viertelliter Bier kostete 51 Pfennig, ein halber 1,02 Mark. Ein sensationelles Preis-Leistungsverhältnis, würde man heute sagen. Für zarte 0,2 Liter Gin Tonic allerdings bezahlte ich in der MB, der Leipziger Moritzbastei, die sich damals schon damit rühmte, der größte Studierendenklub Europas zu sein, 2,50 Mark.

Aber das mit dem Bier hat mich trotz des Preisgefälles nie gerockt. Bier schmeckt mir bis heute nicht. Außerdem finde ich es noch immer stillos, mit einem Pott Bier an der Bar zu stehen. So ein Gin-Tonic-Glas macht ästhetisch einfach mehr her.

Und wenn schon eine junge Kolumnistin im Gin den „Geist der Selbstbestimmung“ entdeckt und ein gestandener Psychologe, der sich selbst als Stressexperte bezeichnet und in einer Wochenzeitung Coachingtipps gibt, Gin-Trinker:innen einen „erlesenen Geschmack“ zuspricht, kann Gin so verkehrt nicht sein. „Gegen die Aromen von Wacholderbeeren, Koriandersamen und getrockneten Zitronenschalen ist an sich nichts einzuwenden“, sagt der Psychologe. Wäre da nicht der Alkoholgehalt von rund 38 Prozent.

Niemals die Kontrolle über den Gin verlieren

Hartes Zeug, da hat der Job-Coach recht – wenn man das jeden Abend trinkt. Oder mehrfach in der Woche. Ich gehe aber davon aus, dass mittlerweile alle wissen, dass der Missbrauch dann den Genuss überdeckt. Zumal es auch keinen Spaß macht, sich jeden Abend zuzulöten. Wer so weit gekommen ist, hat die Kontrolle über den Gin verloren.

Andere würden sagen, Gin ist so etwas wie Medizin mit Geschmack. Denn die Wacholderbeeren, aus denen der Gin gewonnen wird, gemixt mit Kräutern, helfen durchaus bei der Verdauung und sind belly’s little helpers bei Blähungen. Manche Sorten enthalten Koriander und Rosmarin – was wiederum entgiftend wirkt. Die im Gin enthaltenden Flavonoide stärken das Immunsystem und können sogar das Herz-Kreislauf-System positiv beeinflussen.

Apropos Positivismus: Mit Gin lässt sich am Cocktail-Tresen nicht nur gut rühren und schütteln – ein Klassiker ist der Negroni, ein Mix mit gleichen Teilen aus Gin, Wermut, Campari, der übrigens noch älter ist als die Kassette, nämlich über 100 Jahre – sondern auch wunderbar experimentieren. Aktueller Hit ist Rosé Spritz: Gin, Martini Rosato, Eis, Orange. Es überrascht sicher nicht, wenn ich versichere: Das ist leicht, das ist spritzig, das ist frisch-fruchtig. Das ist einfach wunderbar.

Dazu die Kassette mit den „schönsten Frauenstimmen“ eingelegt – und schon ist der Sommer verlängert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Die meisten Deutschen glauben, das Nationalgetränk Spaniens sei Wein.

    Weit gefehlt: es gibt zwei, und zwar Bier und Gin Tonic. Ersteres in kleinen Gläsern, zweiterer in Goldfischgläsern. Nichts läutet den sommerlichen Feierabend besser ein.

  • Alkohol ist ein Zellgift, das auch in geringen Mengen schädlich für die Gesundheit ist. Da gibt es nichts schönzureden.

    • @Elf:

      "Alkohol ist ein Zellgift, das auch in geringen Mengen schädlich für die Gesundheit ist."



      Das ganze Leben ist übrigens lebensgefährlich. Aber Hauptsache mal mit dem Zeigefinger gewedelt.



      Und wie bei allem ist es immer eine Frage der Menge. Aber wenn Sie jeden Drink als schädlich sehen, lassen Sie es eben, zwingt Sie ja niemand.

  • Immer schade, wenn so unbeholfen über die gute alte Technik geschwafelt wird. Kommt demnächst noch ein Artikel über die komischen Kratzer auf Schallplatten?

    Ansonsten wird hier vor allen Dingen teures DDR-Bier als billig verkauft, im westlichen Supermarkt kostete das Zeugs damals offenbar nur die Hälfte.

  • Meinen ersten Cassettenrecorder bekam ich 1971, einen ITT Schaub Lorenz in mono.



    Nein, die Dinger brauche ich definitiv nicht mehr. Ich kann den Sommer auch mit einem Drink meiner Wahl (eher ein kühler Rioja-Rosé) und meinem iPod Classic verlängern.



    Den Retro-Kult um Vinyl kann ich ja noch aus optischen, haptischen und teilweise klanglichen Gründen nachvollziehen, den der Kassette aber nicht - weil es auch keinen sinnvollen Grund gibt.

  • dass nur 50% der plattenkäufer einen plattenspieler haben, glaube ich nicht. allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass 50% der von den menschen benutzten wörter gar nicht verstanden werden.

  • Spielverderber:



    dass jedwelcher Alkohol, egal mit was für Zusätzen auch immer, irgendein gesundheitliches Benefit haben soll, ist eine Marketinglüge bzw Selbstverarsche und wissenschaftlich seit Ewigkeiten widerlegt - je hochprozentiger desto schlimmer.

  • Danke. Schöner nostalgischer Kommentar. :-)

    Mein High End Tape Deck (Cassettenrecorder für Hifi-Fans) ist leider kaputt gegangen. Die Antriebsgummi's für den Direkt-Antriebsmotor halten leider nicht ewig.

    Jetzt liegen sie hier, die gut 150 alten Magnetbänder (Kompaktkassetten). Unerhört. Also CD's hören. CD-Laser und CD's halten anscheinend länger. Dazu ein lecker Demeter-Radler. Sehr zu empfehlen als hirn- und leberfreundliche Alternative bei Hitze.

    Was für ein schöner Spätsommer 2023! :-)