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Ein Floh von einem Mann kann Riese werden

■ Der Sieger heißt Goldberger, aber Jens Weißflog steht nach gestrigem zweiten Platz in Innsbruck kurz vor dem vierten Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee

Berlin (taz) – Der Windmesser zeigte Rückenwind, und Rückenwind ist schlecht: Jens Weißflog wartete, bis er mußte. Dann sprang er, ohne einmal zu korrigieren, vom Berg Isel und landete erst wieder nach 108m. Das reichte mit den 110m aus Durchgang eins zum zweiten Platz in Innsbruck (230,9 Punkte) hinter dem Österreicher Andreas Goldberger (111,5/ 109,5/ 238,8m). Nachdem sowohl der Norweger Halvorsen als auch der Japaner Harada rettungslos zurückfielen, ist Weißflog damit seinem vierten Gesamterfolg bei der Vierschanzentournee verdächtig nahe. Das hat bisher noch niemand geschafft. Daß es Jens Weißflog als erstem Springer zum viertenmal gelingen könnte (nach 1984, 1985 und 1991), hat vor ein paar Tagen noch kaum einer erwartet – er selbst höchstwahrscheinlich schon. Für die Öffentlichkeit ist es eh ein Rätsel, wie das harmlose Bürschchen jenen seltenen Siegwillen zu entwickeln weiß, den tatsächlich nur die richtig großen Sportler haben. „Dieser Floh“, hatte einst angeblich Katarina Witt über aufgetauchte Partnerschaftsgerüchte gehöhnt, „ich brauche einen Mann, der zupacken kann.“

Kann er doch, wenn's drauf ankommt, und im Entwickeln von Gefühlen ist er ganz groß – zumindest auf dem Schanzentisch, wenn es darauf ankommt, den richtigen Moment zu erwischen, und danach beim Flug durch die Lüfte. So war es auch gestern in Innsbruck. „Im Anlauf hatte ich Schwierigkeiten“, sagte Weißflog hernach, doch in der Luft genau jene Spannung, die es braucht, aus mediokren Umständen Optimales herauszuholen.

Als deutsch-deutscher Held hat Weißflog allerdings nie richtig getaugt: Zwar hat der einstige Volkskammerabgeordnete vorgemacht, wie man in veränderter Landschaft 500.000 Mark per annum verdienen kann, ohne sich groß verändern zu müssen. Doch es hat gerade das unscheinbare Anpassen Weißflogscher Prägung verhindert, daß man den Springer auch ohne Skier an den Füßen hätte wahrnehmen wollen.

Mit seinen maladen Knien ist ihm das Sommertraining längst zur Qual geworden, heuer ganz besonders. Aber nun: Ist die Konstellation plötzlich prima. Die Österreicher sind gerade eben erst aus einer Krise einigermaßen herausgehüpft, dann ist in Garmisch auch noch der alles überragende Finne Mika Laitinen abgestürzt. Und dann hatte Weißflog selbst plötzlich seine eigenen Probleme, die wie immer im Skispringen nicht so recht zu definieren sind, überwunden. „Es war nicht nur gegen Laitinen gegangen“, sagt er zwar, aber wie es aussah, kam mit dem keiner mit. Weißflog (31), der immer von seinem 50 Kilo leichten Körper profitiert hat, hat nach drei Toursiegen im Parallelstil den Umstieg auf den V-Stil geschafft, nun ist er der Älteste unter Burschen, die mit dem V aufgewachsen sind – und Spitze. Leute wie Dieter Thoma sind vielleicht zu verbraucht, zu schwer. Gestern wurde Thoma 15. Ganz gut, aber? „Es fehlt das gewisse Etwas“, sagt der.

Beim Kollegen nicht. Nur noch der Finne Nikkola, gestern 5., könnte Weißflog (701,1 Punkte) zunahekommen (673,9). Saitoh (659,9) und Duffner, nach gestrigem sechsten Platz Gesamtvierter (658,6), springen am Samstag in Bischofshofen um die Plätze. „Jetzt“, hat Jens Weißflog zugegeben, „kommt immer mehr der Gedanke an den Gesamtsieg.“ Die Zunft rechnet stark damit, und Weißflog versucht nur noch „ruhig zu bleiben“. Gelingt's, wird man ihn Riesen nennen. pu

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