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■ DIE PREDIGTKRITIKEin Fall für Drewermann

Der Mensch muß nicht über hellseherische Fähigkeiten verfügen, um trotzdem ab und an eine Ahnung zu haben: Da sitze ich in der hölzernen Kirchenbank der Sankt-Hedwigs-Kathedrale und vernehme das Evangelium nach Lukas. Im Brief an die Philipper beschreibt Paulus, wie Jesus mit drei Jüngern auf den Berg Tabor kletterte. Auf dem Gipfel angekommen, hatten sie eine Erscheinung: Plötzlich wurde es ganz hell, es tauchten Mose und Elia auf, um Jesus zu sagen, sein Schicksal werde sich demnächst in Jerusalem erfüllen. Dann zog eine Wolke auf, und die Jünger wußten gar nicht so recht, was da geschehen war. Sie stiegen wieder vom Berg hinunter und schwiegen über das Geschehene.

Soweit die Überlieferung, und jetzt ahnt der interessierte Gläubige schon, worum es in der Predigt gehen wird: wahr oder nicht wahr? —

Und so kommt es auch: Gottes Stellvertreter da vorn am Altar beginnt seine Erläuterung mit dem ganz Menschlichen: Merkwürdiges kennen wir aus unserem kleinen Alltag selber genug, Dinge, mit denen wir nicht umzugehen wissen. Mir fällt da spontan eine Bekannte ein, die mit ihrem Staubsauger fünfmal in den Elektroladen rannte, weil er nicht funktionierte, und siehe da: sobald der Fachmann das Gerät einschaltete, lief es wie geschmiert. Die Frau hat den Staubsauger am Ende weggeworfen. Solche Peinlichkeiten erzählt man nicht gerne, und deshalb haben auch die Jünger über das Erlebnis auf dem Berg Tabor zunächst geschwiegen. Aufgeschrieben hat es Lukas sowieso erst viel später und dabei bestimmt so einiges dazuerfunden, wie es der Mann Gottes locker formuliert, um dann auf die entscheidende Frage zu kommen: Was haben wir davon zu halten? Handelt es sich hier um ein historisches Ereignis oder um Poesie, wie es der Ketzer Drewermann aus Paderborn bezeichnet? — Also: Was auch immer auf dem Berg geschehen sein mag, es muß im größeren Zusammenhang gesehen werden, als überliefertes Zeichen, das uns zu Gott hinführen will, wie auch die Wunder und die Bilder. Und alles zusammen ist einerseits wahr, andererseits auch nicht so wichtig, denn im Zeichen liegt nicht das Heil und in den Bildern nicht der Trost Gottes: Sonst würde der Mensch ja durch die Bibel wie durch eine Bildergalerie wandern, ohne dabei das Wesentliche zu erfassen.

Nun frage ich mich, warum um diesen Herrn Drewermann und seine aufgeklärte Interpretation der Bibel so ein Sturm der kirchlichen Entrüstung entfacht wird, wenn diese Zeichen doch gar nicht so wichtig sind? Noch dazu, weil der Mensch, je weiter er noch vom wahren Glauben entfernt ist, um so mehr Zeichen bemüht — siehe das Alte Testament, in dem, sprach der Pfarrer, eine ganze Reihe ungewöhnlicher Geschichten zu finden seien, weil diese alten Völker ja auch noch Opferriten zelebrierten. Und der moderne Mensch in seiner gottlosen Variante schaffe sich ja ebenso jede Menge neuer Mythen, zum Beispiel das öffentliche Bewältigen, womit ohne Frage die jüngere Vergangenheit gemeint ist: »So nicht!«. Denn bei diesem Bewältigen werde wie gebannt auf die Zeichen gestarrt, wahre Vergebung komme aber nur von Gott.

Nun läßt sich natürlich die Bibel nicht mit Stasi-Dossiers vergleichen, aber trotzdem: Wie ist mit den Zeichen und Bildern des MfS umzugehen? Sind die nun auch vielleicht wahr, aber nicht so wichtig? — Da hüllt sich der Priester in tiefes Schweigen, hier helfe es nur, weiterhin Barmherzigkeit zu lernen.

Die wende ich zuallererst mal auf diesen Mann Gottes an, der es leider nicht geschafft hat, mir auch nur ansatzweise deutlich zu machen, warum ich nun an die Zeichen trotzdem glauben soll, auch wenn sie nicht so wichtig sind. Der vom großen Zusammenhang redet und daß allein der Glaube wichtig sei: Warum soll dann einer wie Drewermann wegen der Zeichen über die Klinge springen? Lutz Ehrlich

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