: Ein Denkmal in der Leere
Zum symbolischen Akt für den Baubeginn des Holocaust-Mahnmals kamen politische Prominenz und Opfervertreter. „Das Wort Deutscher hat uns mit Angst erfüllt“ ■ Aus Berlin Philipp Gessler
Allein, leise und langsam schreitet Giora Feidman vom Süden in den Plenarsaal des Reichstages. Seine Klarinette spielt „Introduction“, eine verjazzte Klezmermelodie. Die politische Elite der Bundesrepublik wartet auf ihn, nur das Klicken der Fotoapparate ist zu hören. Der Musiker argentinisch-jüdischer Herkunft geht vorbei an den blau-violetten Abgeordnetensesseln und verschwindet am Nordausgang. Seine Melodie fehlt wie vieles an diesem Tag. Die Feierstunde zum Holocaust-Gedenktag hat begonnen.
Er ist nicht wie jedes Jahr. Denn ihn prägen nicht die üblichen Politikerreden. Vor Bundespräsident Johannes Rau und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) finden ein Musiker, ein Schriftsteller und ein Architekt auf ihre Weise eine Sprache für Unsagbares: den Mord an sechs Millionen Juden. Und die deutsche Schuld daran.
Zunächst versucht dies am Rednerpult noch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Er lobt das geplante Holocaust-Mahnmal, dessen symbolischer Baubeginn heute wenige hundert Meter vom Reichstag entfernt begangen wird. Der Regierende Bügermeister Berlins, Eberhard Diepgen (CDU), sitzt im Plenarsaal. Er hatte angekündigt, zum Festakt für das Mahnmal nachher nicht zu kommen. Das Land Berlin ist einer der Initiatoren des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Diepgen rutscht nervös mit seinem Stuhl hin und her.
Der Friedensnobelpreisträger und Schriftsteller Elie Wiesel ergreift das Wort. Der Auschwitz-Überlebende setzt sich eine jüdische Kopfbedeckung auf und dankt Gott, dass er diesen Tag erleben darf. In seinen Sätzen ist keine Harmonie, ihnen allein fehlt es an diesem Tag nicht an Härte:
Von jüdischen Kindern, denen Deutsche die Köpfe abschlugen, erzählt der Autor. Er zitiert den Vers Paul Celans aus seiner Todesfuge „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“ Und betont: „Das Wort Deutscher hat uns mit Angst erfüllt.“ An mehreren Stellen in Wiesels Rede scheinen dem Schriftsteller die Worte zu fehlen.
Der Beifall ist zunächst verhalten, Abgeordnete der SPD-Fraktion erheben sich zu Standing Ovations, eher zögerlich folgt ihnen das ganze Parlament. Viele CDU-Abgeordnete fehlen beim Festakt am Mahnmal, dessen Bau der Bundestag beschlossen hatte. In der Lobby heißt es, Schröder habe sich erst zum Kommen entschieden, als feststand, dass Diepgen nicht erscheinen würde.
Vom feinen Reichstag stapfen dann die Spitzen der Republik durch den Matsch der Brache südlich des Brandenburger Tores. Lea Rosh, seit mehr als zehn Jahren die treibende Kraft des privaten Förderkreises zum Bau des Mahnmals, fehlt es nicht an Stil, auch Altbundeskanzler Helmut Kohl für sein Engagement für das Stelenfeld zu danken: „Er wollte es wirklich.“ Vor Tafeln, die von dem Bau künden, hebt sie hervor, dass das Mahnmal den Deutschen nicht helfen werde, ihr Menschheitsverbrechen zu sühnen: „Da ist nichts wieder gutzumachen.“ Dem Mahnmal fehlt es bis heute an konkreten Plänen – mehr als ein Modell hat der US-Architekt Peter Eisenman nicht geliefert.
Als er vor achtzehn Jahren an der Berliner Mauer war, sagt der auf Deutsch, habe er angesichts der Wachtürme am Checkpoint Charlie das Gefühl bekommen, im Nirgendwo gelandet zu sein – dieses Gefühl der Leere begleite ihn bis heute. Mit seinem Mahnmal will er diese Leere füllen: Berlin sei auf dem Weg, für die Alte Welt das zu werden, was New York für die Neue sei – ein „melting pot“.
Kanzler Schröder verlässt das Gelände schnell. Er findet aber noch Zeit, zwei Mädchen im Backfischalter ihre Kamera aus der Hand zu reißen und sich mit ihnen, rechts und links eine im Arm, von einem seiner Leibwächter fotografieren zu lassen. Fast erleichtert wirkt er. Michael Glos, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, verteidigt das Fehlen seiner Fraktionskollegen: Jedem Abgeordneten solle es selbst überlassen bleiben, wo er hingeht. Und Kohl? Er habe Verständnis, dass der sich derzeit nicht viel in der Öffentlichkeit sehen lassen wolle.
Demonstranten dürfen vor dem abgesperrten Mahnmalsgelände nicht fehlen. Junge Leute tragen ein meterlanges grünes Band mit einem Satz Theodor Adornos: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären.“ Ältere Männer empören sich: „Bürger von Berlin, lasst Euch den Stadtkern nicht für lange Zeit verstümmeln.“ Politclown Dieter Kunzelmann wird am Rande des Feldes festgenommen.
Kulturstaatsminister Michael Naumann ist durchgefroren. Auf die Frage, ob er sich, obwohl früher Gegner des jetzigen Entwurfs, nun freue, dass der Bau endlich beginne, ist ihm nichts mehr als ein langes Schweigen zu entlocken. Auch Architekt Eisenman selbst hat genug. Ihm fehle eine Dusche, erklärt er. Am Nachmittag bei der Mahnmals-Stiftung sei „a lot of work to do“. Dann geht er zum Hotel, am Absperrgitter entlang, allein.
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