■ Italien will eine Seeblockade gegen Albanien durchsetzen: Ein Brückenkopf auf dem Balkan
Seeblockaden werden gemeinhin verhängt, wenn sich ein Staat mit dem anderen im Kriegszustand befindet oder ein internationales Embargo für die Zulieferung von Gütern durchgesetzt werden soll. Gut zehntausend Albaner sind bisher nach Italien geflohen, von einer erdrückenden Welle, die dem Land unlösbare Probleme aufbürden würde, kann bisher keine Rede sein. Daß man nun eine Seeblockade einrichtet, um die albanischen Flüchtlinge in ein schwer erschüttertes Krisengebiet zurückzudrängen, wie dies Italien derzeit tut, und daß sich niemand ernsthaft
darüber aufregt, darf wohl als ein neuer Höhepunkt europäischer Kopf- und Planlosigkeit aufgefaßt werden.
Daß die Europäer, Deutschland inklusive, bei der beabsichtigten „Wiederherstellung der Ordnung“ Italien die Führerschaft überlassen, durchbricht überdies ein weiteres Mal ein noch vor kurzem geheiligtes Prinzip der Vereinten Nationen. Danach sollten bei internationalen Maßnahmen in einem kriegs- oder krisengeschüttelten Land die Nachbarstaaten tunlichst weit außen vor gehalten werden – zu leicht schleicht sich da dann eine Art Tendenz ein, einmal bezogene Machtbastionen zu befestigen und das „gerettete“ Land am Ende zur Kolonie des Nachbarstaates zu machen.
Diese Tendenz ist Italien nicht nur klammheimlich zu unterstellen, sondern seit Jahren deutlich ausgeprägt. Schon bei der ersten Albanienkrise, nach dem Kollaps des KP-Regimes Anfang der 90er Jahre, hatte etwa der damalige Chef der industrienahen Republikanischen Partei, Ugo La Malfa, von einem italienischen „Protektorat Albanien“ gesprochen. Außenminister De Michelis hatte seinerzeit behauptet, das Land sei „sowieso zu 80 Prozent italienisch“ (schließlich hatten Mussolinis Soldaten das Land ja mal für vier Jahre besetzt).
Da Italien bei der schließlichen Beendigung des Jugoslawienkonflikts ziemlich außen vor blieb, juckt es nicht wenige Politiker, nun wenigstens in Albanien wieder einen Brückenkopf auf dem Balkan zu besetzen, mit dessen Hilfe man dann wieder mitreden kann im Konzert der Großen. Einige Tage bleiben noch Zeit, bevor die Fregatten, Korvetten und Kreuzer vor Albaniens Küste auftauchen. Bis dahin sollte die Europäische Union begriffen haben, was für ein riskantes Spiel hier abläuft. Werner Raith
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