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Archiv-Artikel

Ein Amerikaner in Sachsen

„Der Rote Elvis“ von Leopold Grün erzählt die bizarre Geschichte von Dean Reed

Als „Der Rote Elvis“ vor ein paar Monaten beim Filmfest in Schwerin gezeigt wurde, hing im Foyer des Kinos Capitol immer noch ein riesiges Foto von Dean Reed an einer Wand, und eine der gestandenen Organisatorinnen wurde plötzlich ganz mädchenhaft, als sie gestand, vor etwa 30 Jahren auf der Bühne des Hauses im Mädchenchor der FDJ zusammen mit Dean Reed gesungen zu haben. In der DDR war Reed damals ein angehimmelter Star: ein schöner, rebellischer Amerikaner, der freiwillig ins realsozialistische Deutschland gegangen war. Als die Geschichte vom US-Bürger, der sein Land verließ, um in gänzlich unamerikanischer Manier seinem Ideal eines sozialistischen Internationalismus zu folgen, versucht Tom Hanks seit ein paar Jahren, die Karriere von Reed in einem Hollywoodfilm nachzeichnen. Es gibt also mehrere, ganz unterschiedliche Ansätze, mit denen man von dieser außergewöhnlichen Karriere erzählen kann. Und der 1968 in Dresden geborene Leopold Grün ist so klug, seinen Film nie eindeutig in eine Richtung treiben zu lassen. Die Fans von einst kommen auf ihre Kosten, denn es gibt viele Ausschnitte von Reeds Konzerten, Filmen und politischen Aktionen. Aber auch jene, die sich bei seinem Gesang am liebsten die Ohren zuhalten würden und mehr an seinem bizarren Lebensweg interessiert sind, werden nicht enttäuscht.

Fünf Jahre lang hat Grün für diese Dokumentation recherchiert, und dabei ist es ihm gelungen, mit Ausnahme der dritten Ehefrau von Reed, Renate, eine umfassende Reihe von Zeitzeugen vor die Kamera zu bekommen. So schildert etwa ein chilenischer Journalist die Urszene von Reeds Karriere. Der war in den USA der frühen 60er Jahre ein mittelmäßiger Sänger mit mäßigem Erfolg gewesen, der schamlos Elvis Presley kopierte, doch als er in Südamerika mit einem seiner Lieder einen Hit landete, ging er dort auf Tournee und wurde in Chile von begeisterten Fans wie ein großer Star verehrt. Dieser berauschende Erfolg vermischte sich bei Reed mit Erfahrungen von extremer sozialer Ungerechtigkeit. Er entwickelte zugleich ein linkes Bewusstsein und ein extrem großes Selbstbewusstsein er sah sich als Revolutionär und war ein Narziss. Der Film liefert viele Belege dafür, dass ihm seine Frisur mindestens ebenso wichtig war wie seine politische Aussage. Besonders absurd wirken etwa die Aufnahmen aus einem Palästinenserlager im Libanon, in denen er malerisch mit der Kalaschnikow in der einen und der Gitarre in der anderen Hand durch die Wüste spaziert. In der DDR der 70er Jahre entsprach seine Mischung aus Sunny-Boy-Image und sozialistischem Pathos ideal dem Zeitgeist, und mit der DEFA-Produktion „Aus dem Leben eines Taugenichts“ spielte er 1972 neben Hannelore Elsner in zumindest einem Film, der kein reines, heute peinlich anzusehendes Starvehikel ist (was seinem einstigen Vorbild Elvis übrigens nie gelang).

Der Film hält eine feine Balance zwischen der Darstellung des privaten und des öffentlichen Lebens von Reed. Dessen zweite Frau Wiebke sagt etwa schön lakonische Sätze wie: „Der große Friedenskämpfer schmeißt Frau und Kind aus dem Haus!“ Für den Niedergang Reeds in den achtziger Jahren findet Armin Mueller-Stahl das Bild vom Spielzeugauto, das zwischen den Tischkanten hin und her flitzt. Seinen Freitod, der zuerst von der Stasi vertuscht wurde, und um den es immer noch viele Gerüchte und Verschwörungstheorien gibt, behandelt der Film verblüffend kurz. Als guter Filmemacher und Biograf weiß Leopold Grün, dass die letzten Fragen immer offen bleiben. Wilfried Hippen