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Ein Absturz, der Vergnügen bereitet

Die Bühnenfassung von Heinz Strunks Roman „Sommer in Niendorf“ am Hamburger Schauspielhaus wechselt virtuos zwischen Musical, Revue, Drama und Volkstheater. Das Monströse der Hauptfigur und die Substanz des Buches bleiben dabei aber auf der Strecke

Das bleibt in Erinnerung: Für eine Unterwasserszene haben die Bühnenwerkstätten überlebensgroße Fische und anderes Meeresgetier gebaut Foto: Thomas Aurin / DSH

Von Klaus Irler

Die Vorfahren melden sich zu Wort. Mit bärtigen Gesichtern erscheinen sie überlebensgroß als Projektion auf einer Leinwand, die die ganze Bühne des Hamburger Schauspielhauses einnimmt. Ein riesiger Auftrag ist es, den sie an den Nachgeborenen überbringen: Aufschreiben soll er, was war in seiner Familie. Ein Buch soll er schreiben und Erfolg damit haben.

Und dann geht das Licht an und da steht: Charly Hübner im sandfarbenen Zweireiher, dazu Hut und Schnurrbart, ein wandelndes Zitat des Gustav von Aschenbach aus Luchino Viscontis Verfilmung von „Der Tod in Venedig“. Blasiert und wohlgenährt ist er auf dem Weg nach Niendorf an der Ostsee. Georg Roth heißt er, blickt in den ­Zuschauerraum und ist genervt: „Ist das voll hier, und nichts als Alte“ ruft er. Da hat er recht. Es ist der erste Lacher dieser Abends. Der erste von vielen.

Es ist ein bekannter Vorgang: Heinz Strunk hat einen Roman geschrieben und das Kreativtrio Studio Braun, dem Strunk angehört, macht daraus ein ­Theaterstück fürs Hamburger Schauspielhaus. So war es bei „Fleisch ist mein Gemüse“ und dem „Goldenen Handschuh“, so ist es nun mit „Sommer in Niendorf“. Der Roman erzählt von dem mittelalten Hamburger Wirtschaftsanwalt Roth, der eine Auszeit vom Job genommen hat, um ein Buch über seine Familie zu schreiben. Er mietet sich dafür eine Ferienwohnung im Ferienort Niendorf an der Ostsee, unweit von Lübeck. Drei Monate will Roth bleiben und der Maßstab, den er an sich legt, ist hoch: Heinrich Böll, Paul Celan und Walter Jens kommen ihm in den Sinn. Erstens, weil die auch schon in Niendorf waren, nämlich bei der Sommertagung der Gruppe 47 im Jahr 1952. Zweitens, weil bei seinem Buchprojekt viele neuralgische Punkte in der Nazi- und der Nachkriegszeit liegen. Und drittens weil es ihm an Narzissmus nicht mangelt, dem Herrn Anwalt aus reicher Familie.

Aber das Schreiben klappt schlecht. Roth ist einfach kein Schriftsteller. Das wäre nicht weiter schlimm, hätte er nicht mit seinem Vermieter Breda einen Alkoholiker getroffen, der im Absturz begriffen ist und ihn mitzieht. Was nicht schwer ist, denn Roth ist bereits entwurzelt: Von seiner Frau ist er geschieden, seine Tochter will nur sein Geld, Freunde hat er nicht und trinken tut er ohnehin viel. Anfangs verachtet Roth den Proll Breda, aber am Ende macht er in dessen Fußstapfen weiter. Auf dem Weg dahin wird er im Rausch zum Monster und versucht, die Ausein­andersetzung mit seinen Entgleisungen per Alkohol wegzunarkotisieren.

„Sommer in Niendorf“ ist kein spaßiges Buch, wenngleich Heinz Strunk dem Niedergang komische Momente abgewinnt. Seine Kunst ist, sich dabei nicht über seine Figuren lustig zu machen. Er lässt ihnen nur von Zeit zu Zeit ihren Humor.

Theater: „Ein Sommer in Niendorf“, Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Wieder am 18. und 24. 5. sowie 14. und 18. 6., jeweils 20 Uhr; dann 29. 6., 18.30 Uhr und 3. 7., 19.30 Uhr

Auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses zielt sehr viel auf Komik: Roth baggert eine junge Kellnerin an, die sich nur singend äußert. Der runtergerockte Breda ist eine Clownsfigur im Strickpulli mit Schiffsmotiven. Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk geben unter anderem eine Schlagerband in Schlagermove-Outfit. Und es fallen Sätze wie: „Ich bin beim Traumareiten vom ­Therapiepferd gebissen worden.“

Das Monströse von Roth geht in der Bühnenfassung verloren zugunsten einer aufwändig inszenierten Theaterrevue, pantomimischer Tanztruppe, Gaze-Vorhängen und Figurentheater. Um dem bunten Reigen Tiefgang zu verleihen, wird von Roths Familiengeschichte vor allem erzählt, wie der Vater die Firma durch die NS-Zeit navigiert hat und am Ende als Kriegsgewinnler dasteht. Roths Scheitern als Schriftsteller wird hier Auslöser seines Absturzes, im Roman verliert Roth das Ruder durch eine toxische Mischung aus Lebenskrise, gekränkter Eitelkeit und Einsamkeit in einer trostlosen Umwelt. Seine innere Leere saugt ihn auf. Da kommt die Bühnenversion nicht hin.

Es fallen Sätze wie: „Ich bin beim Traumareiten vom Therapiepferd gebissen worden“

Dafür zieht das Studio Braun als Regieteam alle Register einer Theatershow, die ganz offensichtlich auch den Schau­spie­le­r*in­nen Spaß macht. Das Ensemble mit Charly Hübner, Bettina Stucky, Yorck Dippe und Josef Ostendorf spielt groß auf. Die Bühnenwerkstätten haben für eine Unterwasserszene überdimensionale Fische gebaut, wobei vor allem der Raubfisch aus Strandkörben in Erinnerung bleibt.

In der Absturzkneipe Spinner gibt es eine Polonäse Blankenese in Moll und im Orchestergraben musiziert eine Band. Zwischen Schauspiel, ­Musical, Revue und Volkstheater wechselt die ­Inszenierung gute zwei Stunden ­virtuos hin und her. Aber am Ende fehlt die Substanz. Der Abgrund ist ­abhanden gekommen.

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