american pie : Ein Abend für Sieger
Die Indianapolis Colts verlieren zum ersten Mal in der laufenden Saison der National Football League und sind gar nicht so unglücklich darüber
Es kommt nicht oft vor, dass auch in einer Sportart, in der das Unentschieden quasi nicht vorhanden ist, am Ende keiner wirklich geschlagen vom Platz zu gehen hat. So geschah es am Sonntag im RCA Dome zu Indianapolis: Die Gäste aus San Diego hatten gewonnen und sich ihre Playoff-Chancen erhalten, aber auch den Verlierern ging es nicht wirklich schlecht.
Erst einmal aber musste der Schein gewahrt bleiben. „Sehr enttäuscht“ sei er, gab der Quarterback der Colts zu Protokoll, und sein Chefcoach Tony Dungy beteuerte: „Wir wollten ungeschlagen bleiben.“ Allein: So recht glauben wollte das kaum jemand. Wahrscheinlich wollten die Colts tatsächlich einen Sieg einfahren und sich damit die Chance erhalten, als zweites Team in der Geschichte der National Football League (NFL) eine Saison ungeschlagen zu beenden. Allerdings: Zu gewinnen hatten sie nur einen Eintrag in die Geschichtsbücher, zu verlieren aber nichts mehr, denn bereits vor dem Spiel stand nach 13 Siegen in Folge fest, dass sie in den Playoffs bis zur Super Bowl Heimrecht genießen würden. Die San Diego Chargers wiederum mussten unbedingt gewinnen, um sich eine kleine Chance auf die Playoffs zu erhalten. Am Ende ließ sich der Unterschied zwischen „Wollen“ und „Müssen“ beziffern: 26:17 für San Diego.
Vor allem die Offensive um den sonst überragenden Manning hatte ungewohnte Schwächen offenbart und dafür gesorgt, dass die mehr als 57.000 Menschen in der ausverkauften Halle der Demontage ihrer Helden geradezu apathisch beiwohnten. So sah man bei den Colts nach dem Spiel zwar keine fröhlichen Gesichter, aber auch das Wehklagen über die verpasste Chance, sich in die Rekordbücher einzutragen, blieb aus. Coach Dungy verursachte zwar der unkonzentrierte Auftritt seiner Mannschaft sichtliches Magengrimmen, aber vor allem er wusste zu schätzen, dass „wir nun nicht mehr all diese Fragen beantworten müssen, der Medienauflauf hoffentlich nachlässt und wir uns wieder auf unser eigentliches Ziel, die Super Bowl, konzentrieren können“.
Nur mühsam konnte Dungy, ein zum bierernsten und verhärmten neigender Geselle, seine Erleichterung verbergen, dass er nun nicht mehr gezwungen sein wird, in den beiden letzten, unbedeutenden Spielen vor den Playoffs seine besten Akteure aufs Feld zu schicken und sie stattdessen schonen kann: „Wir wollten nicht verlieren, aber vielleicht hilft uns die Niederlage, unsere Entschlossenheit wieder zu finden.“ Cornerback Nick Harper schließlich sprach aus, was alle zu denken schienen: „Wir können jetzt zwar nicht mehr den Rekord schaffen, aber das ist egal. Denn das Einzige, was zählt, ist, dass wir am Ende in der Super Bowl spielen.“
Anderer Meinung war man in Miami, wo auf die Niederlage der Colts angestoßen wurde. Mitglieder des Dolphins-Teams von 1972 tranken ihr traditionelles Gläschen Sekt, mit dem sie alljährlich zu feiern pflegen, dass sie weiterhin als einzige Mannschaft eine gesamte NFL-Saison ungeschlagen überstanden haben. In Grußworten drückten sie eher halbherzig ihr Mitgefühl für die geschlagenen Colts aus. Es war, wie gesagt, ein Tag, an dem es scheinbar nur Gewinner gab. THOMAS WINKLER