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Eiliges ist nicht unbedingt wichtig

■ Stadtforum: Neue Prioritäten bei der Stadterweiterung / Berliner Nordostraum in Stufen aufbauen und Megaprojekt "Parkstadt" liegenlassen / Planer Friedemann Kunst: "Projekte nicht isoliert streichen"

Während in der Berliner Mitte Maulwürfe Bauvorhaben um Bauvorhaben losgraben, drohen Projekte für die Stadtentwicklung an der Peripherie abzustürzen. Angesichts der Sparmaßnahmen sowie falscher Wachstumserwartungen ist es vorstellbar, daß die Siedlungen für den Berliner Nordosten beispielsweise in Buch, Karow und Pankow-Nord ins nächste Jahrtausend verschoben oder ganz aufgegeben werden könnten. In der Konsequenz bedeutete dies eine Revision der bestehenden Entwicklungsplanung am Stadtrand.

Handlungsbedarf sieht auch Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer: Bisher gültige Prioritäten beim Neubau großer Siedlungen müßten überdacht, die Planungen für Neubaugebiete auf der grünen Wiese notfalls einer Korrektur unterzogen werden, sagte er auf der 38. Runde des Stadtforums am Wochenende. Die neuen Quartiere müßten zunächst an Standorten mit bereits bestehenden Infrastruktureinrichtungen und Verkehrsanbindungen hochgezogen werden. Für die Entwicklungsgebiete wie die im Flächennutzungsplan (FNP) ausgewiesenen Areale für mehr als 400.000 neue Wohnungen im Berliner Nordosten, den Potentialen im Südosten oder im Bezirk Spandau sei es notwendig, eine Reihenfolge festzulegen und eine zeitliche Streckung zu verabreden, nachdem eine Ergänzung der existierenden Pläne vorgenommen wurde.

Der notwendige Pragmatismus hat im Hause des Stadtentwicklungssenators bereits zu Überlegungen geführt: Der Berliner Nordosten, erinnerte Friedemann Kunst, Planer in der Senatsverwaltung, müsse zwar im „Gleichgewicht zur Innenstadtplanung“ und weiter als Gegengewicht zum wirtschaftlich starken Südosten gedacht werden. Trotzdem bedürften die Planungen einer „Stufung“. Kunst: „Teure Projekte mit vielen Vorleistungen wie das Parkstadtkonzept oder die Hobrechtstadt sollen zunächst ausgegrenzt werden.“ Zugleich sei es wichtig, „Starterpunkte“ zu bauen, gingen doch von ihnen „Wirkungen“ für die „Vision“ des nordöstlichen Stadtraums aus. Kunst plädierte dafür, „Projekte nicht isoliert zu streichen“, sondern auf eine Strategie der Verknüpfung und der Gleichzeitigkeit von Bauprojekten für Wohnen und Abreißen zu setzen. Buch-Süd und Karow-Nord, Buchholz und Planungen für Heinersdorf sollten weiter in Angriff genommen werden.

Für andere Prioritäten in der Stadtentwicklung sprach sich der Architekt Urs Kohlbrenner aus. Es sei an der Zeit, daß in Berlin „Wichtiges von Eiligem“ unterschieden werde. Immer mehr stelle sich heraus, daß eilig angezettelte Bauprojekte nicht unbedingt die für die Stadtentwicklung notwendigen seien. Für den Berliner Nordostraum stelle sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Erhalt und die Qualifizierung der Topographie der Landschaft nicht „wichtiger“ seien als deren „eiliger“ Umbau zu einem riesigen Stadtteil. Neue Quartiere müßten sich in den bestehenden Raum einpassen, „eigene Funktionen bilden und neue Dimensionen eröffnen“, sagte Kohlbrenner. Die Gedanken an die nordöstlichen Siedlungserweiterungen auf der grünen Wiese sollten angehalten werden. Notwendig sei statt dessen, zu einer Verbesserung der existierenden Orte und Gemeinden zu kommen. Bernau, Oranienburg oder Buch sollten wiederaufgebaut und saniert, ergänzt und dann erweitert werden. Damit stärke man die polyzentrale Kraft des Umlandes. Außerdem schlug Kohlbrenner vor, der Entwicklung der Spree eine Vorreiterrolle im Stadtumbau zu geben. Der weitgehend vernachlässigte Flußbereich biete – im Unterschied zum Nordostraum – „identitätsstiftende Qualitäten“. Außerdem müßte an den vielen brachliegenden und verseuchten Uferbereichen etwas getan werden. Rolf Lautenschläger

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