: Eiland, öde
■ Aus der Reihe: Einzureißende Neubauten, Teil III: Ernst-Reuter-Platz
Wo geht man hin, Sonntagsnachmittags, wenn man mal einsam sein will, so eine kleine Flucht vor seinen großen Mitmenschen? In den Grunewald? Unmöglich. An die Mauer, wo sie nicht berühmt ist? Idiotisch. Ich setze mich in die U -Bahn, fahre zum Ernst-Reuter-Platz, weil der einreißmäßig dran ist, jetzt. Und siehe da, ich komme aus dem Gang (zur Mittelinsel) hinauf auf den Platz, und ich bin allein.
Jeder weiß, was ich sehe, wenn ich jetzt rundblicke. So gerne ich es allen ersparen möchte, die Rubrik hier verlangt es nunmal, sich mit Scheußlichkeiten zur beschäftigen.
Der Versuch, die einzelnen Gebäude nach Häßlichkeiten abgestuft aufzuzählen, muß mißlingen.
Da kommen doch tatsächlich noch andere Leute auf die Insel und nach einem kurzen Blick verschwinden sie wieder in der Unterführung. Zurück zum Rundblick: neckisch nach vorne springende Eckchen hat sich der Architekt zum nächsten TU -Kasten einfallen lassen. Neckisch? - Lächerlich, so was kostet beim Bau dann Kantenzuschlag, jede Ecke muß extra bezahlt werden. Die Extrakohle war umsonst, es hat nichts geholfen, der Bau sieht genauso eintönig aus wie seine Kollegen um den Platz herum. Dann der Parallelkasten dazu, was Flaches dazwischen. Der nächste Parallelkasten ist der Hauptsitz (oder so) der Eternit AG. Die haben es sich natürlich nicht nehmen lassen, ihre Schweinefassadenplatten aus Faserzement zu verwenden. Nicht so billig und scheußlich, wie sie es den Bauern auf dem Lande verkaufen.
Nein, hier tarnen sie das ganze - soll so aussehen, als wäre es massiv-Stein, aber die haltgebenden Metallprofile an jeder Ecke verraten natürlich alles. Ach ja, ungesund sollen sie auch sein, diese Fassaden.
Nach wie vor bin ich alleine auf der Insel, deren markantestes Bauwerk übrigens eine zweimeterzwanzig hohe Krankonstruktion ist, rotlackiert. Hübsch, so unpassend zum gestalteten Grünflächenambiente, das Ding zeigt sowas wie Humor.
Das Telefunkenhochhaus braucht einen neuen Sponsor, vielbuchstabig bitte, damit der freie Platz für den Text gefüllt werden kann, so wie jetzt, Rauputz, betonfarben, ist es unerträglich. Häßlich wird es immer bleiben. IBM hat's nicht viel besser hinbekommen, die Blechverkleidungen sind wohl den Gehäusen ihrer Rechner entlehnt. Noch eine Trabantenstadt in der City, noch ein ätzender Platz, noch ein ... ich gehe anderswo hin. Ich verlasse das feuchte Eiland.
An der Ampel frage ich eine junge Frau, was ein halbwegs vernunftbegabter Mensch am Sonntag hier wohl macht? Sie stutzt, aber dann gesteht sie, daß sie zur Uni geht. Wäre der Sonntag für die Informatiker, Chemiker und sonstigen Studies nicht ein normaler Arbeitstag, auf dem Ernst-Reuter -Platz gäbe es nur noch Autos, heute.
Jürgen Witte
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