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Eigentlich saugute Stimmung

■ Erleben, beschreiben, verdrängen und genießen: Christian Kracht und Eckhart Nickel fuhren suchend rund um die Welt, um möglichst nichts zu finden. Hauptsache, das Schnitzel schmeckt

Interviewer: „Ist das nicht zynisch, was Sie da machen, Herr Schlingensief?“

Schlingensief: „Was ist denn nicht zynisch?“

Interviewer: „Hm – “

Ein zynisches Buch. Und lustig. Ein Reisebuch. Ein Fluchtbuch. Ein Suchbuch auch. Christian Kracht und Eckhart Nickel waren unterwegs in der Welt und jetzt behaupten sie, daß es ihnen gefallen hat. Sie haben ihr Buch „Ferien für immer“ genannt und versprechen im Untertitel „Die angenehmsten Orte der Welt“ vorzustellen. Aber es ist eher ein Buch über das Davonfahren geworden, über das Reisen als Lebensform, über Suchen und Nicht-Finden. Wie es im Thomas-Bernhard-Motto des Buches heißt: „Nein, nein, das Ideale ist weg, weit weg und in ein Hotel, so lang es einem paßt, und dann in ein andres.“

Schön ist die Welt eigentlich nur im Rausch. Und am schönsten in Frankfurt. Denn „nichts auf der Welt gleicht dem sich sachte in die Höhe schraubenden Apfelweinrausch“, schreiben die zwei Reisenden anläßlich eines Aufenthalts im Apfelweinparadies „Zum Rad“. Dabei fallen euphorische Augenblickserkenntnisse ab: „Und plötzlich weiß man, daß es eigentlich keinen Grund gibt, den Sommer außerhalb Hessens zuzubringen.“ Da man dies allerdings immer nur ganz kurz weiß und spätestens am nächsten Morgen wieder vergessen hat, muß man weiter reisen. Zum Beispiel nach Taschkent in Usbekistan, um auf der Terrasse eines Cafés warmen Wodka aus grauen Teeschälchen zu trinken, oder nach Kuta Beach in Indonesien für „eine ordentliche Portion Spaghetti Bolognese“.

Maximal drei Buchseiten nehmen sich die zwei Reisenden, um ihre Eindrücke von fernsten Weltgegenden zu beschreiben, und meist beschreiben sie auch nur besonders empfehlenswerte Hotels oder Kneipen, Gasthöfe oder Bars. „Touristische Geheimtips“ werden gnadenlos bespöttelt, und am lächerlichsten finden sie die „Traveller“, die überall in der Welt dem Massenreiseführer mit dem wirklich absurd-komischen Namen „Lonely-Planet“ folgen.

Mit der reichlich dekadenten Attitüde, die zum Beispiel über Phuket in Thailand nicht wesentlich mehr zu sagen hat, als daß das Carpaccio lecker ist, wird von den beiden 32jährigen natürlich souverän ironisch gespielt. Meistens zumindest. Es gibt aber Momente in ihrem Reisebuch, und das sind sicherlich die stärksten Passagen des Buches, da schlägt die freundliche Ironie in Zynismus um. Immer dann, wenn „die Welt“ gewaltsam in ihr genußreiches Erzählen einbricht, wenn der Rausch plötzlich einer ungewollten Klarheit weicht, wenn all das, was ausgeblendet werden soll, sich störend bemerkbar macht. Außerordentlich raffiniert zubereitet fanden sie beispielsweise zarte Rindersteaks in einem Restaurant irgendwo in Brasilien. Am Ende, da wundern sich die Reisenden, werden ihnen die Reste in Papiertüten mitgegeben. „Für den Hund?“ fragen sie. „Nein, für die Armen vor der Tür“, heißt es da. Für den Leser, der sich von der Steakbeschreibung einlullen ließ, ein richtiger Schock, und man erwartet nun eine Schilderung jener Armen vor der Tür mit reichlich schlechtem Gewissen. Doch es folgt nur die lapidare Schlußbemerkung, daß sie die verwesten Fleischreste drei Wochen später im Handschuhfach ihres Mietwagens wiederfanden. Keine Moral, kein schlechtes Gewissen, kein Protest. Nur erleben, beschreiben, verdrängen und genießen. Die Lebenseinstellung einer entpolitisierten, willentlich gleichgültigen, bewußt unbewußten und irgendwie flüchtigen Generation wird hier im 1:1-Maßstab unkommentiert abgebildet. Zynisch?

Kurz noch ein Blick ins Züricher Café Odeon: Das Spektakel der „Züri-brännt-Bewegung“ ließ sich hier Anfang der Achtziger gut beobachten, schreiben Kracht und Nickel. Bei einer Panache: Feldschlößchen-Bier mit Grenadinesirup. „Draußen rannten tatsächlich nackte Schweizer, Autonome und ihre Sympathisanten schreiend durch die Straßen, verursachten Glasschäden in den Vitrinen der hemmungslos überteuerten Boutiquen und verbreiteten eigentlich saugute Stimmung.“

Zynisch? Vielleicht. Aber eine zynische Welt ist unzynisch eben schwer zu schildern. Bei Kracht und Nickel ist der Wahnsinn der Welt jedenfalls prima Buch geworden. Volker Weidermann

Christian Kracht und Eckhart Nickel: „Ferien für immer. Die angenehmsten Orte der Welt“. Kiepenheuer& Witsch, Köln 1998, 240 Seiten, 34 DM

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