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Eigener Herd ist Goldes wert

■ »Hör auf zu heulen, Hermann« von Margrét Rún im Moviemento

Das Moviemento-Kino schreibt uns: »Endlich gibt es wieder eine Wahnsinnige im Jungen Deutschen Kino: sie heißt Margrét Rún.« Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Denn Margrét Rún ist nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen, sondern auf der schönen Insel Island. Allerdings studiert sie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München, womit wir wieder beim deutschen Film wären. Und mit den hiesigen Schlaftabletten (Bohm, Dörrie, Trotta etc.) und verhinderten GeschichtenerzählerInnen (Bohm, Dörrie, Trotta etc.) verbindet Rún tatsächlich so gut wie gar nichts.

Das dargebotene Leiber- und Seelendrama ist die gute alte Geschichte von der Mutter-Sohn-Liebe, die den Jungen in Gewalt und Irrsinn treibt (Psycho, Muttertag, Die gnadenlosen Killer, Die Krays etc.). Dem drastischen Thema entsprechend hat Regisseurin Margrét Rún auf psychologische Feinfühligkeiten verzichtet. Mami, ein wabbelnder Koloß mit herrisch-schneidender Stimme, setzt sich rittlings auf den kleinen, schmächtigen Hermann und spielt Hoppe-hoppe-Schwänzchen. Mami mag es nicht, daß Hermann andere Frauen begehrt, und lacht mit kreischender Häme über sein unzureichend winziges Geschlechtsteil. Wenn Hermann trotz aller Drangsal mal an andere Frauen denkt, weiß er sich selbstbestrafend im Zaum zu halten, indem er seinen nackten Hintern auf eine heiße Herdplatte setzt. In seiner Seelenpein erhofft sich Hermann Erlösung durch die vergeistigte Liebe zum Herrn Jesus Christus und geht zur Heilsarmee. Aber die Heilsarmee ist natürlich nur eine Fortsetzung der Mutter mit anderen Mitteln. Die Herdplatte bleibt weiter in Betrieb.

Hermann ist mit so tiefer Inbrunst Opfer, daß man ihm am liebsten mit einem Tritt in den verbrannten Hintern Einhalt gebieten möchte. Aber der arme Junge strampelt weiter im letalen Dreieck zwischen Heilsarmee, Höllenmutter und Herdplatte hin und her. Gegen derartig viele Gemeinheiten mit großem H hilft schließlich nur noch das gute Doppel-H. In höchster Not tauscht Hermann die mausgraue Uniform der Heilsarmee gegen ein buntes Hawaii-Hemd und triumphiert in dieser Weise doch noch über den allmächtigen Seelensicherheitsdienst. Man stelle sich vergleichsweise vor, wie M. v. Trotta mit Kaminfeuerpsychologie den zwangssexuellen Abgründen beigekommen wäre. Oder wie Wim »das Auge« Wenders stundenlange Einstellungen der Herdplatte vorgenommen hätte. Hawaii- Hemd und Schluß mit der Heulerei — das hat schon was.

Margrét Rún ist hierzulande eine der wenigen, die die Lehren der 70-Minuten-Filme Aki Kaurismäkis beherzigt hat. Hör auf zu heulen, Hermann reicht für 40 Minuten, und dann ist es auch gut. Um die Vorführung zeitmäßig ein wenig aufzustocken, gibt es zum Hauptfilm noch den Vorfilm Walz — ein Film von Martin Walz über Walz und mit Walz in der Hauptrolle. Mit erschreckender Offenheit spricht diese Charakterstudie über eines der letzten uns noch verbliebenen Tabus: den zwanghaften Kinobesuch und seine schädlichen Folgen für die Mitmenschen. Niemand weiß, wie man mit den besessenen Kinogängerinnen und -gängern umgehen soll. Sie stellen ein bedrohliches Potential für ihre nähere Umgebung dar: Finanzieller Ruin und grobe Vereinsamung stehen oft am Ende einer Klappstuhlkarriere, wie sie am bedrückenden Beispiel Martin W. plastisch vorgeführt wird. Volker Gunske

Hör auf zu heulen, Hermann. BRD 1989, 40 Min. Regie: Margrét Rún. — Walz, BRD 1988, ca. 15 Min. Regie: Martin Walz. 20.15 Uhr, Moviemento.

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