Eigene Anschlüsse in jeder Zelle: Telefonieren wird Privatsache
Bisher konnten Gefangene in Hamburg meist nur öffentlich auf dem Flur mit Angehörigen telefonieren. Jetzt kriegen sie eigene Geräte in den Haftraum.
Mit der Haftraumtelefonie, dem eigenen Anschluss in jeder Zelle, soll das besser werden. „Zeitgemäß“ findet das die justizpolitische Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion. „In Haft ist es schwierig, soziale Kontakte nach außen aufrechtzuerhalten“, sagt sie. „Gerade für die Zeit nach der Haftentlassung sind stabile soziale Netzwerke aber ein wichtiger Faktor, um erneuter Straffälligkeit vorzubeugen.“ Auch das Konfliktpotenzial im Knast soll sinken: Die teils langen Wartezeiten auf ein freies Flurtelefon fallen weg.
Das bisherige Modell, öffentlich auf den Fluren zu telefonieren, ist keine Hamburger Besonderheit, sondern war lange bundesweit üblich. Langsam findet aber ein Umdenken statt: In Mecklenburg-Vorpommern etwa können nach Informationen der Zeit bereits über 50 Prozent der Gefangenen Haftraumtelefonie nutzen. In Niedersachsen bieten einzelne Justizvollzugsanstalten, wie die in Bremervörde, den Gefangenen das eigene Telefon auf Antrag hin an.
In Hamburg hatte 2021 hatte das Justizressort die Konzession für die Telefonie in den Gefängnissen neu ausgeschrieben, ein neuer Anbieter wurde Ende August verpflichtet. Zum 1. April ist jetzt die Telekommunikation vom alten Anbieter Telio Communications auf Gerdes Communications übergegangen.
Neuer Anbieter bringt Verbesserungen
Die Vergabe fand damals unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weder die Justizdeputation, noch die Gefangenenvertretung oder Anstaltsbeiräte waren von der Behörde beteiligt worden; was das Telefonieren die Gefangenen in Zukunft kosten sollte, wurde mit Verweis auf „Geschäftsgeheimnisse“ weder den Betroffenen noch der Öffentlichkeit verraten. Linke und Anstaltsbeiräte kritisierten das Vorgehen.
Doch abseits der Intransparenz bringt die Vergabe tatsächlich einige Vorteile für Gefangene mit sich. Neben der Haftraumtelefonie betrifft das auch den Preis: Die genauen Telefonkosten sind zwar immer noch nicht öffentlich bekannt, aber sie liegen laut Stefan Martinstetter aus dem Vorstand der Gerdes AG um 40 Prozent unter den Kosten des umstrittenen bisherigen Anbieters Telio.
Eine Verbindung in die ganze Welt gibt es auch mit den neuen Haftraumtelefonen nicht: Anrufen können die Gefangenen von dort nur geprüfte und genehmigte Nummern; so soll verhindert werden, dass der eigene Telefonanschluss für illegale Aktivitäten genutzt wird. 30 Nummern können Gefangene auf Antrag freischalten lassen.
Urs Tabbert, justizpolitischer Sprecher der SPD, geht davon aus, dass die Haftraumtelefonie damit sogar aus Perspektive der Haftanstalten die Sicherheit erhöht: „Durch voreingestellte und geprüfte Nummern erhöht sich die Kontrolle über externe Kontakte, ohne das Kommunikationsbedürfnis der Gefangenen zu beschneiden“, schreibt er in einer Pressemitteilung.
Gute Erfahrungen mit privaten Anschlüssen
Ganz neu ist die Haftraumtelefonie für Hamburg nicht: In der JVA Billstedt waren bereits Erfahrungen gesammelt worden. 99 Zellen verfügten dort im Rahmen eines Pilotprojekts schon über eigene Telefonanschlüsse.
Und 2020 konnten Gefangene in anderen Anstalten zusätzlich über eigene Handys verfügen, um die reduzierten Besuchsmöglichkeiten während der Pandemie zu kompensieren. Als „große Erleichterung“ beschrieb das ein Gefangener gegenüber der taz. Die Zahl der Verstöße gegen die Nutzungsregeln blieb überschaubar.
Bis wann die Anschlüsse in den einzelnen Zellen tatsächlich verlegt sind, kann das Justizressort am Freitag noch nicht mitteilen. Klar ist schon: Für jugendliche Straftäter wird es noch länger dauern; die Jugendhaftanstalt in Hahnöfersand soll in den nächsten vier Jahren in ein neues Gefängnis in Billwerder umziehen, erst dort wird auch für die jungen Gefangenen Telefonieren in der eigenen Zelle möglich sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?