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„Eher Opfer als Täter“

■ Mal wieder Rauschgift-Razzia in Flüchtlingsunterkunft / Kampagne gegen Flüchtlingskinder geht weiter / Warnung vor Diffamierung Von Peter Müller

Zivilfahnder der Hamburger Polizei haben am späten Sonntagabend die Flüchtlingsunterkunft am Communionsweg (Neuland) gefilzt, um Rauschgift aufzustöbern. Die Beute war gering: Entgegen der zunächst über Rundfunk verbreiteten Meldung, es sei Heroin und Kokain gefunden worden, wurden lediglich bei einem 21jährigen Nigerianer 5,6 Kilogramm Haschisch sichergestellt. Polizeisprecher Hans-Jürgen Petersen: „Es wurde eine verschwindend kleine Menge Koks gefunden, das war aber nicht der Rede wert.“

Haschisch sollte nach Meinung vieler Drogenexperten legalisiert und zum Verkauf und Konsum freigegeben werden. Da dies bislang aber nicht der Fall ist – der Handel ist also noch strafbar – wurde der Nigerianer nach der Vernehmung dem Haftrichter vorgeführt. Auf die Spur des Afrikaners waren die Zivilfahnder gekommen, weil sie zwei Konsumenten abgefangen hatten, die zuvor in der Flüchtlingsunterkunft einige Gramm Haschisch gekauft hatten.

Wie meistens bei diesen Razzien hatte aber auch diese Aktion ausländerpolizeiliche „Nebeneffekte“: Neben dem Haschischbesitzer wurden acht weitere Schwarzafrikaner festgenommen, die ebenfalls geringe Mengen Rauschgift bei sich gehabt oder die gegen das Ausländergesetz verstoßen haben sollen, da sie angeblich falsche oder gefälschte Papiere bei sich getragen haben.

Unterdessen geht in den Springer-Medien die Kampagne gegen kurdische und schwarzafrikanische Jugendliche weiter. In der jüngsten Ausgabe der „Welt am Sonntag“ wird unter Berufung auf Polizeikreise behauptet, „bis zu 100 Prozent“ der kurdischen und afrikanischen unbegleiteten Flüchtlinge unter 16 Jahren seien straffällig. Eine These, die Polizeisprecher Hartmut Kapp nicht unwidersprochen lassen möchte: „Das ist absoluter Quatsch und unseriös. Derartige Zahlen hat die Polizei nicht.“ Es sei allerdings nicht von der Hand zu weisen, daß neun von zehn festgenommenen Dealern am Hauptbahnhof Kurden seien. Doch eine pauschale Verurteilung ganzer Volksgruppen lehnt Kapp ab.

Dennoch beobachtet die Rauschgiftfahndung bei den kurdischen Drogenclans zunehmend Strukturen der Organisierten Kriminalität. Die kurdischen Drogenringe würden mit Vorliebe minderjährige Kinder und Jugendliche als „Frontdealer“ einsetzen, da diese strafrechtlich meist nicht belangt werden können. Kapp: „Wir haben Anhaltspunkte dafür, daß einige Familien ihre Kinder gezielt nach Deutschland schicken. In Deutschland haben sie eine Zukunft, in der Kriegsregion Kurdistan nicht.“ In Hamburger Drogenringen würden die Jugendlichen und Kinder dann als Nahtstelle zwischen Großhändlern und Straßendealern eingesetzt, sie „verwalten“ bis zu 100 Gramm Heroin. Entgegen der früheren Praxis – wie in der Paul Roosen-Straße in St. Pauli von Kneipen aus das Heroin zu vertreiben – sind die Kids flexibel und mobil. Meist horten sie das Heroin in Erddepots oder Schließfächern.

Kapp: „Diese Entwicklung war seit 1989 abzusehen.“ Es handele sich um einen gefährlichen Prozeß, der nicht ignoriert werden dürfe. Denn es bestehe die Gefahr, daß sich ein undifferenzierter Volkszorn gegen die kurdischen Jugendlichen erhebe. Der Polizeisprecher: „Die Jugendlichen werden von ihren Clans instrumentalisiert. Das sind eher Opfer als Täter.“

Der Verein „Jugendhilfe“, der 230 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Hamburg betreut, warnt in diesem Zusammenhang vor „Stimmungsmache“: „Eine Pauschalisierung führt dazu, daß rassistischen Vorurteilen und unverhohlener Ausländerfeindlichkleit ein fruchtbarer Boden bereitet wird.“ Es habe eine „diffamierende Absicht“, wenn fast alle Flüchtlingskinder als „straff organisierte Kriminelle“ tituliert werden.

In Wirklichkeit würden sich viele junge Flüchtlinge in Deutschland und auch in Hamburg in einer „deprimierenden Lebenssituation“ befinden. Durch die Verschärfung des Asylrechts würden ihnen jegliche Perspektive genommen, „so daß für einige von ihnen der Weg direkt in die Kriminalität und Illegalität führen kann.“

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