piwik no script img

■ Edzard Reuter hat nichts mehr gemerkt – und geht erst jetztLautes Schweigen

Meine Güte, hat das gedauert! Schon seit Monaten wußte jeder Pförtner bei Daimler Benz, daß sich Edzard Reuter nicht mehr als Aufsichtsratsvorsitzender halten läßt. Nur er selbst wußte es offensichtlich nicht. Gestern ist er zurückgetreten. Man hörte das Aufatmen durch alle Abteilungen.

Denn längst hat niemand mehr verstanden, warum ausgerechnet derjenige so ungescholten im Sessel sitzt, der die Hauptschuld an der derzeitigen Daimler- Misere trägt. Vollends unhaltbar aber wurde Reuter nun, nachdem das für die Abwicklung der Daimler- Tochter AEG verantwortliche Vorstandsmitglied, Ernst Georg Stöckel, demnächst die Konzernspitze verlassen muß. Denn nicht Stöckel, sondern Reuter war es, der mit seiner Vision vom Dienstleistungskonzern Daimler all die Eskapaden anstieß, die jetzt mühsam wieder rückgängig gemacht werden müssen.

Der Vorstand des Konzerns war darum schon seit längerer Zeit auf Distanz zu Reuter gegangen. So wurde ihm eine Ehrenerklärung verweigert, als der inzwischen gestorbene Finanzchef Gerhard Liener nach seiner Entmachtung heftige Vorwürfe gegen Reuter erhoben hatte. Schon damals hätte Reuter erkennen können, wie es um ihn stand. Doch der eitle Manager, der ernsthaft darauf gewartet hatte, als Regierender Bürgermeister nach Berlin gerufen zu werden, hatte den Blick für die Realität verloren.

Eigentlich hat ihn die Kärnerarbeit an der Spitze eines Weltkonzerns nie sonderlich interessiert. Reuter verstand sich vielmehr als Staatsmann, der lieber über Perspektiven fabulierte als konkrete Probleme zu lösen. Schöngeist Reuter scheute sich letztlich auch, die Verantwortung zu übernehmen und schickte zur Durchsetzung unangenehmer Konzernbeschlüsse immer Vorstandskollegen vor.

Ausbaden müssen die Milliardenverluste sowieso die Beschäftigten. Daimler-Chef Jürgen Schrempp aber fallen die Entscheidungen, den Stuttgarter Giganten wieder auf sein mobiles Image zurückzuführen, jetzt sicherlich leichter. Merkwürdig bleibt dennoch, daß in einem Weltkonzern personelle Fehlbesetzungen an der Spitze so lange unkorrigiert bleiben, während man jeden Bandarbeiter, der einen Imbusschlüssel stiehlt, sofort entläßt. Warum hat kein Vorstandsmitglied verhindert, daß Reuter zuletzt noch Vorsitzender des Aufsichtsrats wurde? Alle haben laut geschwiegen, und erst jetzt hat es auch der Betroffene selbst gehört. Matthias Mantzen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen