Am Kottbusser Damm : Echter Erwachsener
Als Schalke 0:5 in Kaiserslautern verlor, hätte mir schon klar sein müssen, dass es mit dem Zimmer am Kottbusser Damm nicht klappen würde. Es wäre auch zu schön gewesen: dass die Wohnung etwas heruntergekommen war und kein Bad hatte, war gut, da ich eh kein Geld und auch eine heftige Aversion gegen sanierte Wohnungen entwickelt hatte. Die Atmosphäre war jedenfalls schön, auch ein bisschen melancholisch, und ich hatte das Gefühl, in einem Film zu sein, der weit vor 89 spielte.
Ich hatte mich jedenfalls mit Hans, einem Altfreak, ein paar Tage zuvor in der Küche seiner großen Wohnung getroffen. Wir hatten geraucht und uns über die Welt unterhalten. Unsere Ansichten ähnelten sich. Zunächst war ich misstrauisch, da mein zukünftiger Mitbewohner nicht nur auf die sechzig zuging, sondern auch ein Mann war. Später kam es mir so vor, als sei genau das das Richtige; all meine Zusammenwohnversuche mit jüngeren Frauen waren ja danebengegangen. Es gab nur einen kleinen Haken: eigentlich hatte er das Zimmer schon einem Freund zugesagt, der sich aber nicht zurückgemeldet hatte. Als ich die Wohnung verließ, fühlte ich mich, als hätte ich im Lotto gewonnen. Dann kam die 0:5-Niederlage in Kaiserslautern. Zwei Tage später rief Hans an.
Nach langer Zeit hatte er in seine Mailbox geguckt, und da war die mich vernichtende Nachricht des Freundes schon lange drin gewesen. Er entschuldigte sich. Ich sagte „Scheiße“. Wie sehr hatte ich mich darauf gefreut, mit einem echten Erwachsenen am Kottbusser Damm zu wohnen. Da hatte ich immer schon leben wollen. Vor Weihnachten werde ich umziehen. Die zweite Liga freut sich schon. Vielleicht gibt’s auch einen Lizenzentzug. Jetzt kann nur noch das Bezirksamt helfen. DETLEF KUHLBRODT