: Echo aus Oberflächenfurchen
■ Die Choreographin Meg Stuart über ihre Arbeitsweise und die Uraufführung der Produktion „No one is watching“ beim Sommertheater Festival
Sie liebt die Gegensätze, sucht die Extreme. Der Tanz der Meg Stuart entsteht im tiefsten Innern des Körpers. Sein Ausdruck gleicht dem Blick in einen zersprungenen Spiegel. Das Echo aus den Furchen nicht länger gebrauchsfertiger Oberflächen bestimmt dabei den Rhythmus der Bewegung.
No longer readymade hieß das Stück, mit dem die 1965 in New Orleans geborene Tänzerin und Choreographin beim letzten Internationalen Sommertheater Festival ihr Publikum begeisterte und tief berührte, für das die Hamburger Kritiker ihr den „Pegasus“-Preis verliehen. Zur Zeit befindet sich Meg Stuart mit ihrer neu zusammengestellten internationalen Company Damaged Goods in den Endproben zu ihrer neuesten Produktion No one is watching, welche, koproduziert vom Sommertheater Festival, am 5. August Uraufführung haben wird.
Zwei Wochen hat die Choreographin zur Einrichtung des Stücks auf der Kampnagelbühne, um hier dem Ganzen den endgültigen Schliff zu geben. „Ich zerlege alles bis ins Detail. Von da beginne ich, neue Verbindungen, neue Strukturen in den Dimensionen von Bewegung, von Körpern in Raum und Zeit aufzubauen. Anfangs ist da nur ein Bild, eine Idee, eine Geste. Ich probiere jede Möglichkeit. Wichtig ist, daß die Bewegungen Bedeutung erhalten, verschiedene Ebenen von Bedeutung“, beschreibt sie im taz-Gespräch ihren choreographischen Forschungsdrang, der zudem ein hohes Maß an Selbstreflexion eigener Gefühle und Gewohnheiten von den fünf Tänzerinnen verlangt.
Verzerrung, nennt sie den Ansatz ihrer Bewegungssprache in einem Wort, wozu sie sich vielfach aus der bildenden Kunst anregen läßt. In der Zusammenarbeit mit dem flämischen Musiker Vincent Malstaf liegt in No one is watching der besondere Akzent auf der Einbeziehung von Geräuschen und Klängen. Gesampelte Sprachfetzen stehen im Raum, Stimmen flüstern aus dem Verborgenen. „Mich fasziniert die Idee, Klang als Bild zu benutzen“, begeistert sich die ansonsten eher scheue Künstlerin über die Entwicklung des Stücks, welches die Zerissenheit zwischen Privat und Öffentlich, zwischen Phantasie und Handlung, zwischen Instinkt und Verstand thematisiert.
Nach mehrjährigem Tänzer-typischen Nomadenleben, seit sie 1991 aus der New Yorker Off-Tanz-Szene nach Europa übersiedelte, hat sich Meg Stuart im November letzten Jahres mit ihrer Company in Brüssel niedergelassen. Zwar ist die Choreographin immer noch ein Kind der neuen Tanzbewegungen in den USA, die in ihren Anfängen die Individualität der Körper und der Sinne im spielerischen Umgang mit den Möglichkeiten erprobten. Doch gehen Damaged Goods einen entscheidenden Schritt weiter. Sie nutzen ihre Körper zur Projektion der Befindlichkeiten ihrer Zeit – ihrer Gefühle, Gedanken, Obsessionen. Sie veranschaulichen in ironischer Weise die Schizophrenie menschlichen Daseins. Sie übernehmen Verantwortung für ihre Geschichte und sind in diesem Sinne hochpolitisch.
Irmela Kästner 5. + 6. sowie 8. + 9. August, Kampnagel, K2, jeweils 20 Uhr
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