EU-Asylrecht: Die Ausnahme wird zur Regel
Schutzsuchende haben es in der EU zunehmend schwerer. Ihr bloßes Ankommen wird bald als „Krise“ gelten, um ihnen mit allen Mitteln zu begegnen.
V ieles von dem, was in den vergangenen Jahren als Verschärfung des Asylrechts vorgedacht wurde, greift so tief in die Grundrechte ein, dass es zunächst nur als Ausnahme daherkam. Zum Beispiel die geplanten Schnellverfahren an den Außengrenzen: Ausnahmsweise nur für die, die sowieso kaum Aussicht auf Anerkennung haben. Oder die eingeschränkten Rechtsmittel. Die eingeschränkte Versorgung. Oder die längere Internierung. Ausnahmsweise, wenn dieses oder jenes es gerade erfordert.
Aber das reicht vielen nicht mehr. Der Druck in der derzeit wieder aufgeheizten Migrationsfrage ist groß. Und so geht es nun weiter: Die Krisen-Verordnung, auf die sich der EU-Rat am Mittwoch einigte, ist dazu da, die Ausnahmen auszuweiten. Und von Beginn an stand die Befürchtung im Raum, dass diese Ausweitung so weit geht, dass am Ende alles zur Regel wird: Knast, Schnellverfahren, abgesenkte Aufnahmestandards.
Auch wenn die Ampel es anders darstellt: Die Möglichkeiten, einen „Krisenfall“ auszurufen und so die durch die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ohnehin geplanten Einschränkungen der Flüchtlingsrechte weiter zu verschärfen, sind weit gefasst. Das bloße Ankommen der Unerwünschten wird so schon bald oft als „Krise“ gelten, der mit den Mitteln des Notstands begegnet werden darf. Das „normale“ Recht für Schutzsuchende, ohnehin erodiert, wird, umgekehrt, nur noch in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen.
Deutschland hat dem zugestimmt. Die grüne Fraktionsspitze „begrüßt“, dass es im Flüchtlingsknast nun auch Schulbücher und Ärzt:innen geben soll – dass dies vorher offensichtlich anders geplant war, sagt schon alles. Die grüne Basis wirft ihrer Parteispitze „Ignoranz“ und „Falschbehauptungen, um uns intern ruhigzustellen“ vor. Sie klagt über die „Beerdigung ihrer humanitären Grundsätze“ und einen „historischen Fehler“.
Ändern wird es nichts mehr: Die Verhandlungen von Rat, Parlament und Kommission werden beginnen, und Deutschland zieht mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern