: EU-Abstimmung als Prestigefrage für Merkel
CDU-Chefin will Skeptiker überzeugen: Wer Ja zur Verfassung sagt, kann umso lauter gegen EU-Erweiterung kämpfen
BERLIN taz ■ Sein Name weckt Erinnerungen an den „Bomber der Nation“. Und er gibt sich mindestens so kampfeslustig. Seit Tagen wettert der CSU-Bundestagsabgeordnete Gerd Müller gegen die neue EU-Verfassung. Seine „Vorbehalte“ begründet der europapolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag damit, dass „die nationalen Parlamente total entmachtet werden“.
Mit dieser Einschätzung steht Müller zwar selbst in der eigenen Partei weitgehend allein da. „Die These von der Entmachtung der Parlamente ist eine Mär“, erklärte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber gestern. Aber – und das macht der Unionsführung die größten Sorgen: Müller spricht womöglich vielen Kollegen aus der Seele, die sich ganz generell einen EU-kritischeren Kurs wünschen und die das auch bei der Abstimmung über die Verfassung morgen im Bundestag zum Ausdruck bringen möchten. Manchen fällt es – mit Blick auf rechte Wählerschichten – schwer, so differenziert zu argumentieren wie der CDU-Europapolitiker Peter Hintze. Man müsse die anstehende Entscheidung über die Verfassung und spätere Entscheidungen über EU-Erweiterungen „sorgfältig auseinander halten“, fordert Hintze und gibt damit die Haltung der Unionsspitze wider: Die Verfassung steht für die europäische Integration, deshalb sind wir dafür. Weitere EU-Ausdehnung gefährdet die Integration, deshalb sind wir dagegen.
Auch der Justiziar der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), hält Müllers Einwände für abwegig. „Der Bundestag hat noch nie so viel an Beteiligungsrechten in europäischen Fragen erreicht wie jetzt“, sagte Altmaier der taz. Ob bei der Besetzung von Richtern am Europäischen Gerichtshof oder bei Klagen gegen EU-Gesetze: Überall könnten die Parlamentarier mitbestimmen.
Trotzdem musste CDU-Chefin Angela Merkel gestern Nachmittag weitere Überzeugungsarbeit leisten. Ausnahmsweise unterstützt von CSU-Chef Edmund Stoiber, warb Merkel in der Unions-Fraktionssitzung noch einmal persönlich für die Verfassung. Warum die vielen Appelle, obwohl doch niemand ernsthaft bezweifelt, dass die Union morgen genug Ja-Stimmen für die nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag beisteuern wird? Die Zahl der Abweichler ist zu einer Prestigefrage geworden. Weil das Maß der „Geschlossenheit“ eben immer auch als Maßstab für Führungsstärke gilt.
Fraktions-Justiziar Altmaier, selbst ein begeisterter Europapolitiker, zeigte sich gestern überzeugt, die Zahl der Nein-Sager aus der Union werde auf „weitaus weniger als 20“ schrumpfen.
Mit der europapolitischen Einigkeit zwischen Regierung und Opposition dürfte es jedoch vorbei sein, falls die EU-Verfassung bei dem französischen Referendum am 29. Mai abgelehnt wird. Dann wäre die Verfassung vorläufig tot – und die EU-Erweiterung Hauptthema. Auch der liberale CDU-Mann Altmaier kann sich dann nur noch „eine Denkpause oder ein Moratorium“ vorstellen, was künftige Erweiterungen angeht. LUKAS WALLRAFF