: EIN KOSMISCHER WITZ MACHT WELLEN Von Mathias Bröckers
Ein Bruchteil eines Millionstel Grad Celsius sorgte Ende April für heiße Schlagzeilen: „Wie das Universum begann“ titelte die britische Zeitung Independent — mit einem Aufmacher, wie er ansonsten Kriegsausbrüchen vorbehalten ist —, und sogar das Boulevardblatt Sun verkündete: „Wir haben das Geheimnis der Schöpfung entdeckt ... und es dauerte nur 15 Milliarden Jahre.“ Auslöser der frohen Botschaft war der NASA-Satellit COBE, der seit 1989 die kosmische Hintergrundstrahlung mißt. Entdeckt worden war die mikrowellenartige Strahlung Mitte der 60er Jahre per Zufall: Zwei Astronomen suchten Radiosignale vom äußeren Rand der Milchstraße und wunderten sich über ein permanentes Rauschen in ihrem Detektor, das immer gleich stark blieb, egal in welche Himmelsrichtung sie ihre Antennen drehten. Als Verursacher der Strahlung fanden sie ein Gas mit einer Temperatur knapp über dem absoluten Gefrierpunkt (3 Kelvin) — und erhielten dafür später den Nobelpreis. Einzige Erklärung für die Hintergrundstrahlung ist ein ultraheißes Gas, das kurz nach dem Urknall das Universum ausfüllte. Nach einer etwa 300.000 Jahre währenden Abkühlphase, so das Standard-Modell, entstanden aus einigen Partikeln dieses Gases die Atome, der Rest strömte ungehindert und gleichmäßig durch den Weltraum. Seine Entdeckung gab allerdings neue Rätsel auf: Die absolute Gleichmäßigkeit der Strahlung deutete darauf hin, daß das 300.000 Jahre junge Universum glatt und eben gewesen muß, ganz anders als heute, nämlich verworfen und „verklumpt“. Derart wilde Sternen-Haufen und Galaxien-Klumpen wären nur zu erklären, wenn die Verteilung des Gases eben doch nicht so gleichmäßig war — seitdem gelten Wellen und Fluktuationen in der Hintergrundstrahlung als eine Art „Heiliger Gral“ der Kosmologie. Und eben den glauben die Astronomen jetzt gefunden zu haben: Der Satellit COBE hat solche Wellen entdeckt, die sich in Temperaturunterschieden von etwa 30 Millionstel Grad Kelvin äußern. Sie wurden von einer als „Inflationsmodell“ bekanntgewordenen Theorie vorausgesagt, nach der das Universum wie ein leerer verschrumpelter Luftballon plötzlich in eine glatte Form sprang und von da an regelmäßig expandierte. Bewiesen ist die Inflations-Theorie durch die COBE-Daten allerdings noch nicht — ein 100mal genauerer Meß- Satellit soll demnächst alles noch einmal überprüfen.
Es erstaunt ja immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit wir Theorien über ein Ereignis aufstellen, gegen das jede UFO-Sichtung oder Marien-Erscheinung geradezu als handfeste Tatsache gelten muß: den Urknall. „Cosmic joke makes waves!“ titelt der 'New Scientist‘ (Nr.1819) — um in der Titelstory über die neuen Daten des kosmischen Mikrowellenherds dann aber mit keiner Zeile auf den eigentlichen Witz einzugehen: daß, wenn ein theoretisch rekonstruierbarer Urknall stattgefunden haben soll, zuvor schon ein Gesetz dagewesen sein muß, nach dem es genau so und nicht anders knallte. Selbst Stephan Hawking, der sich einer Lösung des Schöpfungs- Rätsels nahe glaubt, kommt nicht ohne ein Naturgesetz aus, das ewig und vor allem Anfang alles Geschehen regiert: Statt Gott herrscht bei ihm die Transzendenz freischwebender mathematischer Gesetze. Dieser kosmische Witz ist es, der jetzt Wellen macht — die Frage, wer denn nun zuerst da war, Ei oder Henne, ist damit längst nicht beantwortet.
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