KOMMENTAR: EG-Mitgliedschaft Italiens suspendieren
■ Nach dem achten Richtermord auf Sizilien
Wir haben es gegenüber der Türkei gutgeheißen, zuvor auch schon gegenüber Griechenland, Spanien, Portugal: In die EG kommt nur, wer „sein Haus“ in Ordnung gebracht hat. Wer Demokratie garantiert und einen ordentlichen Haushalt, UNO-Beschlüsse einhält und Menschenrechte achtet.
Italien, kein Zweifel, erfüllt diese Ansprüche derzeit nicht. Nicht einmal die Minister und der Staatspräsident behaupten mehr, daß es im Land so etwas wie Rechtssicherheit gibt: Ein Drittel des Territoriums, so der Innenminister in Übereinstimmung mit einem vor Jahren extra eingesetzten „Hochkommissar für den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität“ sei nicht mehr vom Staat und seinen Gesetzen, sondern von Mafia und Camorra kontrolliert — faktisch alles, was südlich von Neapel liegt. Mit der Tendenz, sich auch noch den Norden einzuverleiben. „Überall in ganz Italien“, hat vorige Woche der erfahrenste Mafia-Fahnder, Oberstaatsanwalt Giovanni Falcone, festgestellt, „haben sich die Banden bereits eingenistet.“ Sie sind an der Börse präsent und in Großunternehmen und, über Schatzbriefe, der größte Gläubiger des Staates.
Wer sich den Banden widersetzt, gleichgültig ob aus Staatsraison oder weil er einer anderen kriminellen Gruppe angehört, wird zum Tode verurteilt — ohne Revisionsmöglichkeit und ohne Entrinnen. Elf Kandidaten für die Kommunalwahlen 1990 wurden ermordet.
Italien ist derzeit ein Land, in dem die Volksvertretung, die Gerichtsbarkeit, das öffentliche Leben nur insoweit noch demokratisch sind, als es Mafia- Logik und Mafia-Profit nicht schadet. Mit der Grenzöffnung von 1992 wird sich diese Realität auch diesseits der Alpen endgültig einnisten können.
Daß das Land größere Anstrengungen zum Kampf gegen solche Entwicklungen unternommen hätte, kann man nicht sagen. Zwar gibt es ein hervorragendes Anti-Mafia-Gesetz. Doch wenn die Regierung gleichzeitig 80 Prozent der Richter- und Ermittlerstellen in den „heißen“ Gebieten unbesetzt hält und Gesetze verabschiedet, nach denen jahrelang gesuchte und nach blutigen Gefechten festgenommene Bosse alsbald wieder freikommen, kann niemand den ernsten Willen zu diesem Kampf unterstellen. Die Versuchung, sich die beträchtlichen Geldzuwendungen an die Parteien die Wahlunterstützung durch die Klientel der Banden zu versichern, ist für die meisten zu groß. Der derzeitige DC-Ministerpräsident Andreotti hat wie auch sein sozialistischer Koalitionspartner seine stärkste Basis just in Sizilien.
Warum suspendieren wir die EG-Mitgliedschaft Italiens nicht, bis durch soziale, politische und selbstverständlich auch polizeiliche Maßnahmen wenigstens in Ansätzen zu erkennen ist, daß wir zu den auch bei uns wahrlich schon genug vorhandenen Problemen durch organisierte Kriminalität und korrupte Politiker nicht auch noch diese blanke Unterordnung unter die Mafia hereinholen? Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen