EDITORIAL VON JAN FEDDERSEN : Tage, an denen wir einander nahekommen wollen
Ist ja richtig: Um die Weihnachtszeit herum und an Heiligabend kommt es in Familien zu heftigsten Ausbrüchen von Gewalt, genährt aus Enttäuschung und Ernüchterung. Böse Bescherung. Dass es überhaupt so weit, wenn man dies so sagen darf, kommt, liegt an den intensiven Hoffnungen, die an diese Weihnachtszeit herangetragen werden, gerade an die Liebsten. Zu keiner Zeit des Jahres kommt das Sehnen nach Familiärem, nach diesseitigem Frieden auch im politischen generellen Sinne stärker zum Vorschein.
ChristInnen mögen sagen: Ist doch kein Wunder, diese Gefühligkeit. Der Tag, in dessen Nacht zum nächsten Tag Jesus geboren wurde, Symbol für das Leben schlechthin – wie soll eine solche Zeit nicht voller Freude und Zuversicht sein? Verblüffend ist nur: Der Modus, zu Weihnachten das Familiäre und das Leben schlechthin zu feiern, funktioniert über die Religion des Christlichen hinaus ebenso. Multikulturell sozusagen. Und säkular. Weihnachten ist ein globalisierungsfähiges Kulturexportprodukt: Menschen bedenken sich mit Gaben und lassen sich beschenken. Das geht in Jaffa so gut wie in Nanjing, in Rio de Janeiro wie in New Orleans oder Kapstadt.
Diese taz ist dem Feiern gewidmet, dem Leben mit anderen, der Suche nach Nähe und nach Neuem. Wer feiert schon gern allein, oder gar einsam?
Dass die meisten Geschichten vom Weihnachtlichen handeln, von der Kunst der familiären Feier, ohne sich beim ersten Zank an die Gurgel zu gehen, liegt daran, dass unsere AutorInnen mehr oder weniger bewusst selbst auf dieses Thema kamen. Diese gewisse Mulmigkeit in den Tagen vor dem Fest: Wird es denn diesmal schön? Könnte man es sogar schaffen, allein zu bleiben, die Stille in Ruhe zu genießen? Oder könnte man nicht auch für FreundInnen kochen, das Fest mit Menschen jenseits jener Familie verbringen, aus der man selbst stammt?
In dieser Ausgabe zum 24. Dezember finden Sie 15 Seiten zum Thema Feiern: aus Sotschi; über einen Punker, dem die Gesundheit verbietet, in der Bauwagensiedlung zu sein; über Mütter, das Schenken und den Plunder; Alte, die ihr Geld wider ihre Erben verjubeln; über Glühwein und darüber, was Nelson Mandelas Art der Freude von deutscher Kammermusikseligkeit unterscheidet. Klar, auch Geschichten über die eigene Brut, die in Bälde das Elternhaus verlässt, bekommen Sie zu lesen. Und ein drei Tage gültiges Fernsehprogramm: für alle Fälle!