Durchs Dröhnland: Sie lesen nur die „Bravo-Girl“
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
„Abstrakte Grooves“ kann man bei der Interzitty-Party auf der MS Sanssouci hören. Grooves also, die auf leisen Sohlen angetrabt kommen, und bei denen die Zukunft zurückschaut, um den alten TanzbeinschwingerInnen eine lange Nase zu zeigen. Verantwortlich dafür sind die beiden Wiener „Klangkünstler“ Rupert Huber und Sam Auringer. Beide geben seit einigen Wochen schon in Auringers Berliner Atelier sogenannte Hauskonzerte, die zeitgleich auch ins Internet eingespeist werden. Berliner Theorie nennen sie diese Veranstaltungsreihe, und als Idee steckt dahinter, via Internet (elektronische) Musik kommunizierbar zu machen, sie dort zu verändern und auch wieder verschwinden zu lassen. Im Netz ist dann jeder sein eigener Soundmeister. Auf der MS Sanssouci werden die beiden alle drei Decks mit Sounds beschallen; Sounds, die wahrscheinlich denen des Projekts „Tosca“ am nächsten kommen: Dort enttäuschte Huber zusammen mit Richard Dorfmeister all diejenigen, die eine Groovestelle à la Kruder und Dorfmeister erwartet hatten: Sphären, Ambient, Geräusche und Gegluckse finden sich auf diesem Album fast mehr als groovy vibes. Klangkörper im Durchgangsraum, die, wie oben schon gesagt, die Post nicht richtig abgehen lassen. Was ja auch nicht immer sein muß.
Am Sa., 19. 7., ab 23 Uhr auf der MS Sanssouci, Gröbenufer, Kreuzberg;
nächstes Hauskonzert am 26. 7. ab 20 Uhr in der Waldstraße 55 (Moabit)
Ein Sound, an dem sich die Geister scheiden: Funk-Metal- Hardcore-Rap-Crossover. Fabriziert eine Berliner Band wie beispielsweise Zuckerspender diesen Sound, reißt man schon gerne mal den Mund zum Gähnen auf, kommt er von „Pionieren“ wie 24-7 Spyz, nun gut, immerhin ein Original. Ihre frühen Alben „Harder Than You“ und „Gumbo Millenium“ waren steinige Brocken, die jede Tanzfläche in rollende Unordnung zu versetzen wußten. Irgendwie verstanden es die Spyz jedoch nicht, aus ihrer Crossover- Power kommerzielles Potential zu schlagen. Die Red Hot Chilli Peppers wurden Superstars, Living Colour und Faith No More auch, nur 24-7 Spyz rissen sich gegenseitig die Haare vom Schopf. Will heißen, daß man 1994 sogar vor der Bandauflösung stand. Gitarrist Jimmi Hazel aber macht unverdrossen weiter, singt und rappt jetzt auch, und mit „Heavy Metal Soul By The Pound“ gibt es sogar ein neues Spyz-Album. Der Titel sagt alles, und viel neues ist wirklich nicht zu vermelden. 24-7 Spyz verfahren nach der alten Formel: Hauptsache, es dampft.
So., 20. 7., ab 21 Uhr im Trash, Oranienstraße 40/41, Kreuzberg
Kann man sich in den Kinos gerade wieder an der „Reifeprüfung“ mit Dustin Hoffmann als pubertierend liebesgeilen Wanderer zwischen einer älteren Frau und ihrer Tochter erfreuen, so flankiert passend dazu einer der beiden Musiker, die damals für den Soundtrack verantwortlich waren, diesen Film auch live: Art Garfunkel, ehemals Simon & Garfunkel. Während aber sein Partner Paul Simon nach dem Split des Duos geliebt-gehaßter Weltmusiker wurde, kam Art Garfunkel musikalisch nicht mehr so ganz auf die Beine. Mit „Bright Eyes“ hatte er in den Achtzigern zwar einen Hit, ansonsten aber kümmerte er sich lieber ums Familienleben und Amerika und entdeckte die Literatur. (Die ist ihm übrigens so wichtig, daß er jedes bei sich zu Hause rumstehende Buch sorgfältig hinter Plastikhüllen verstaut, wer weiß schon warum?) Ein ordentlicher Mann, der zusammen mit seiner Band, seiner Frau und seinem Kind ordentlich und sanft beschwingt zu musizieren versteht.
Mo., 21. 7., ab 20 Uhr, Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
Henning ist ein vielseitiger Musiker. Mal heißt er mit Vornamen Acoustic, mal Electric, mal Iron. Als Iron Henning war er wohl am erfolgreichsten, denn da hieß seine Sparte Grunge, nicht Metal. Doch Grunge ist tot und Henning todtraurig. Nicht nur deswegen. Was ihn auch weiterhin begleitet, ist ein verdammt schweres Leben, und zwar weil sein Liebesleben im argen liegt: „Ich wollte Liebe und eine schöne Zeit“, singt er, doch zumeist muß er die „Maids“ und „holden Mädchen“ mit anderen teilen. Die Liebe ist bei Henning weniger ein Kriegsgebiet als ein großer Schrottplatz. Schön dumm ist das. Henning aber läßt sich nicht unterkriegen und stolziert als todtrauriger Narziß über die kleinen Bühnen. Brüder im Geiste sind Low-Fi-Stars wie Daniel Johnston, Chris Knox oder Babybird, und seine Musik paßt auch in diese Reihe: Mal abgedreht und unhörbar, also zum Tode betrübt, mal großer süßer Schmierpop, also himmelhoch jauchzend.
Mi., 23. 7., ab 22 Uhr, Duncker- Club, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg
Zuerst schluckt und röhrt man ein wenig, wenn eine Band in Dieter Bohlen, Giorgio Moroder und Sigue Sigue Sputnik definitiv ihre Helden und Idole gefunden hat. Und folglich auch die eigene Musik am liebsten als „knallharten Diskorock“ bezeichnet sieht. Doch der Frosch im Hals verschwindet schnell. Die Marburger Rockformation Diskokugel ist eine klasse Band, eine Diskorockband, jawohl. Da groovt und feuert es, was Drum-Maschinen und Fender Rhodes hergeben, da werden die Welt, das Leben und der Pop zusammengebracht, daß es nur so eine Freude ist. „Ich les' hier drinnen nicht die Welt, ich les' hier nicht mal Neues Deutschland, ich lese nur die Bravo-Girl“, singt die Rockformation Diskokugel und weiß, daß es ohne Spaß auch keinen Sinn gibt. Am schönsten ist ihre Hommage an Josef K.: an den Schriftsteller, an die Postcard- Band, an alle, die wir uns in den frühen Achtzigern in dezent schwarzem Outfit gleich als Existentialisten fühlten. Wenigstens Stil hatte das. Am Ende verzichten sie auf das Suicide Commando, zitieren aber Tucedomoons „No tears for the creatures of the night“. Auch das hat Stil, und wenn demnächst ein Album ansteht, kann es eigentlich nur heißen: Bungelow, übernehmen Sie!
Do., 24. 7., ab 22 Uhr, Duncker- Club Gerrit Bartels
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