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Archiv-Artikel

Durch den Spiegel

Hippen empfiehlt „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ von Terry Gilliam ist eine übermütige, einfallsreiche Phantasmagorie – und der schräge Abschied von Heath Ledger

Gilliam türmt gerne verrückte Ideen, verblüffende Animationstricks und Fragmente aus Märchen und Mythen aufeinander

Von Wilfried Hippen

Terry Gilliam ist der Pechvogel unter den Filmregisseuren. Bei fast allen seinen Projekten geht etwas schief: „Brazil“ gefiel den Studiobossen nicht und so wurde er erst nach jahrelangen Protesten halbherzig in die Kinos gebracht, „Die Abenteuer von Baron Münchhausen“ wurde so chaotisch produziert, dass Gilliam ihn schließlich nur noch zusammenschusterte und dann auch böse an den Kinokassen baden ging. Die Dreharbeiten von „Die Abenteuer des Don Quichotte“ mussten endgültig abgebrochen werden, weil ein Unwetter die Kulissen zerfetzte und der Hauptdarsteller einen Herzinfarkt bekam.

Was kann da noch schlimmeres passieren? Der Hauptdarsteller kann sterben, wenn der Film gerade halb fertig ist, und genau dies passierte Gilliam nun mit Heath Ledger, der nach seiner posthum noch oscarprämierten Leistung in „The Dark Knight“ mitten in der Arbeit für „The Imaginarium of Doctor Parnassus“ steckte, als er plötzlich tot in seinem Hotelzimmer gefunden wurde. Aber nach all seinen Katastrophen ist Gilliam findig geworden. Vielleicht hat er sich an seinen großen surrealistischen Vorläufer Luis Buñuel erinnert, der sich bei den Dreharbeiten von „Dieses obskure Objekt der Begierde“ mit einer Schauspielerin überwarf und einfach für die zweite Hälfte eine Andere die gleiche Rolle spielen ließ, wodurch ein schöner, irritierender Verfremdungseffekt entstand. Gilliam bat nun Freunde und Kollegen von Ledger darum, dessen letzten Film zu retten, und Johnny Depp, Jude Law sowie Colin Farrell halfen mit, indem sie in jeweils abgeschlossenen Sequenzen den Part von Ledger übernahmen.

Am meisten verwundert an diesem Film voller wunderlicher Vorkommnisse, wie nahtlos diese Verwandlungen vonstatten gehen. Dabei hatte Gilliam Glück im Unglück, denn auf der wichtigsten dramaturgischen Ebene waren die Szenen mit Ledger bereits abgedreht. Darin spielt dieser Tony und hat einen fast schon prophetisch morbiden ersten Auftritt, wenn er scheinbar erhängt an einer Londoner Brücke baumelt. Gerettet wird er von der pittoresken Gauklertruppe um den Hellseher Dr. Parnassus, in deren Pferdewagen er Unterschlupf findet und bei deren Aufführungen mit einem magischen Spiegelkabinett er bald mitmacht. Dreimal steigt er selber in den Zauberspiegel und kommt in den computergenerierten Traumlandschaften auf der anderen Seite jeweils als ein anderer Schauspieler heraus. Wenn sich dort alles andere verändert, warum dann nicht auch das Gesicht des Protagonisten? Eine inspirierte Lösung, die dem phantasmagorischen Grundton des Films entspricht

Denn wer die Filme von Gilliam kennt, wird kaum eine ordentlich erzählte Geschichte mit einer auch nur halbwegs konventionellen Dramaturgie erwarten. Der Mann, der als Animator für die Sketche von Monty Python begann und dessen Urbild ein plötzlich aus dem Himmel auftauchender, alles zertretender Fuß ist, türmt in seinen Filmen gerne verrückte Ideen, verblüffende Animationstricks und Fragmente aus Märchen und Mythen so verwegen aufeinander, dass man den Sinn des Ganzen im besten Fall schnell aus den Augen verliert. In „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ ist er dabei so übermütig und einfallsreich wie schon lange nicht mehr. Irgendwie geht es auch um ein Duell zwischen dem alten Zauberer (Christopher Plummer) und dem Teufel, der von Tom Waits als ein wunderbar schlitzohriger Mephisto verkörpert wird. Aber in diesem Filmkabinett herrscht die Logik des Traumes, und die macht es auch möglich, dass Heath Ledger sich mit einem grandios schrägen Film verabschiedet.